"Was macht mein Leben lebenswert?" Drei Fragen zur Fastenzeit an fünf Dekane der Erzdiözese

40 Tage entsagen, verzichten, Buße tun – das prägt bis heute unsere Vorstellung der Fastenzeit zwischen Aschermittwoch und Ostern. Oder lassen sich diese Wochen auch anders nutzen und (er-)füllen? Fünf der jüngst neu (wieder-)ernannten Dekane aus dem Erzbistum München und Freising stellen sich diesen und weiteren Fragen – und überraschen mit ihren Aussagen, Ritualen und Vorsätzen.
 
Finger zeichnen Jungen Aschenkreuz auf die Stirn
Fünf Dekane des Erzbistums München und Freising sprechen über die positive Botschaft der Fastenzeit, das Verzichten-Müssen und Gewinnen-Können. In der fünften und letzten Folge beantwortet Pfarrer Dr. Florian Schomers, Dekan des Dekanats Traunstein, unsere Fragen.
 

Pfarrer Michael Mannhardt Dekan des Dekanates Miesbach und Leiter der Pfarrverbände Miesbach-Parsberg und Hausham-Agatharied

Michael Mannhardt
Michael Mannhardt, Dekan des Dekanates Miesbach
Worauf verzichten Sie in der Fastenzeit?
 
Das Wort „Verzicht“, mit dem viele Menschen die Fastenzeit primär verbinden, finde ich wenig inspirierend und nicht hilfreich, um den tieferen Sinn dieser Zeit zu erfassen. Es geht doch um ein bewussteres Leben, und da ist auch das Genießen-Können - im richtigen Sinn verstanden - durchaus nicht prinzipiell ausgeschlossen. „Leichter leben“ wäre ein Motto, mit dem ich etwas anfangen kann und das sehr wohl zur Fastenzeit passt. Ja, wenn man so will: Auf alles, was mein Leben schwer macht, will ich in der Fastenzeit verzichten. Gott ist der Freund des Lebens. Alles, was dieses Leben fördert, möchte ich in der Fastenzeit neu in den Blick nehmen.
 
Wie prägen Liturgie und Musik für Sie die Fastenzeit?
 
Grundsätzlich tut es mir gut, dass die Liturgie in der Fastenzeit etwas zurückhaltender wirkt. Das öffnet meine Sinne für neue Gedanken und betrifft auch die Musik. Wichtig ist mir allerdings als Leiter von Gottesdiensten, dass die Liturgie keine schwere oder depressive Stimmung bekommt. Wäre dies der Fall, würde gründlich etwas falsch laufen. Wenn die Feier insbesondere der Eucharistie – wo wir auch in der Fastenzeit schon Ostern feiern – dunkel wird, verfehlt die Liturgie ihren Sinn, die frohe Botschaft zu verkünden. Die Kirchenmusik spielt hier eine enorm wichtige Rolle und kann die Liturgie und ihre Botschaft positiv unterstützen, im schlechten Fall natürlich auch das Gegenteil erreichen. Einige Lieder der Fastenzeit mit ihrer Stimmung und ihrer Botschaft halte ich für wenig hilfreich, dass Menschen motiviert werden, sich heute auf die Fastenzeit einzulassen. Es gibt Gott sei Dank auch sehr stimmiges und geeignetes Liedgut, das die Seele beflügelt und leicht macht.
 
Welche Botschaft lässt sich heute mit der Fastenzeit verbinden?
 
Ein Text, der mich jedes Jahr immer wieder neu anspricht, steht am Beginn der Fastenzeit im Schott Messbuch:

 „Fastenzeit heißt nicht nur, weniger essen und trinken, sondern grundsätzlich weniger für sich selbst fordern und verbrauchen. Der Sinn: Der ganze Mensch soll frei werden und sich selbst wiederfinden. Er soll das einüben und verwirklichen, was wir durch die Taufe geworden sind: Ein neuer Mensch, in dem Christus sichtbar wird. Das Gesetz Christi heißt: Nicht fordern, sondern schenken; loslassen, sich selber lassen und wie durch den Tod hindurch das neue, größere Leben gewinnen.“
 
Mit diesem tiefsinnigen Text ist für mich alles gesagt!

Pfarrer Alexander Blei Dekan des Dekanates Landshut und Leiter des Pfarrverbandes Achdorf-Kumhausen

Dekan Alexander Blei
Alexander Blei, Dekan des Dekanates Landshut
Worauf verzichten Sie in der Fastenzeit?

Die Fastenzeit scheint für manche unabdingbar mit dem Begriff „Verzicht“ verknüpft zu sein. Verzicht um des Verzichtes willen wäre nicht immer eine gesunde oder in jedem Fall sinnvolle Herangehensweise. Einige Beispiele: Wäre es sinnvoll, wenn ein von Krankheit Geschwächter auf Essen verzichten würde? Wäre es angemessen, auf Alkohol zu verzichten, wenn jemand sowieso nur wenig Alkohol im Lauf des Jahres trinkt?

Für mich darf ich die Frage nach dem „Verzicht“ eher so beantworten: In dieser Fastenzeit möchte ich versuchen, in angemessener Weise auf die tägliche E-Mail- und WhatsApp-Flut zu reagieren. Ich „verzichte“ auf den mir selbst auferlegten Druck, jeder E-Mail und WhatsApp sofort antworten zu müssen. Nebeneffekt: Das bewahrt vor unreflektierten „Schnellschüssen“.

Was prägt für Sie die Fastenzeit hinsichtlich Liturgie und Musik?

Gerne tauche ich im Verlauf der Fastenwochen in die offiziellen Lesungstexte (aktuell Lesejahr B) ein, die einen wichtigen Baustein unserer Liturgie darstellen. In diesem Jahr möchte ich mich auf die alttestamentlichen Texte konzentrieren – in ihnen suche ich Bilder und Symbole, die ich für mein Leben fruchtbar deuten, in mein Leben hinein „über-setzen“ möchte.

So darf ich mich in diesem Jahr im „Zeichen des (Regen-)Bogens“ in den Bund mit Gott, in eine ganz persönliche Beziehung mit ihm, eingebunden fühlen (vgl. Gen 9,9.12.f.). Mit Abraham darf ich gleichsam in den „Sternhimmel“ schauen und diese Schau als positiven Blick in die Zukunft deuten (vgl. Gen 22, 17). Auf dem „Berg“ – Ausflug in die Berge – darf ich ausgesuchte Gebote des Dekalogs als Lebens- und Bußimpuls für mich selbst deuten: Wie ehre ich beispielsweise meine Mutter, wie gehe ich mit ihr um? Welche Worte kommen über meine Lippen – was sage ich über Dritte, über Abwesende aus? (vgl. Ex 20,12.16).

Am 4. Fastensonntag darf ich beispielsweise in den Schlussakkord der Lesung aus 2 Chr eintauchen und mich fragen: Was trage ich bei, um das „Haus Gottes“  – seine Gemeinschaft, seine „Wohnung unter uns“ –  aufzubauen? (vgl. 2 Chr 16,23). Und vor der Heiligen Woche darf ich bei Jeremia blättern und dann in mein Herz schauen (vgl. Jer 31,33) und mich fragen: „Was steht in meinem Herzen geschrieben“, wofür brennt es, für wen schlägt es?

In der Auswahl der Musik in den Gottesdiensten im Lauf der Fastenzeit steht vielleicht auch einmal die Lebensweisheit „Weniger ist Mehr“ in meinem Betrachtungsfeld. Vielleicht kann so manche „Überfrachtung“ mit Text und Melodie auch einmal der Stille, einer Meditatio und der Contemplatio weichen?

Welche positive Botschaft lässt sich heute mit der Fastenzeit verbinden?

Die Fastenzeit scheint mir sicherlich auch als eine Zeit des „Verzichts“, allerdings für mich eher im positiven Sinn als Zeit der mich erfüllenden „Bereicherung“ deutbar – das Eine schließt das Andere nicht aus. Diesem Duktus folgend, frage ich zuerst mich: Was macht mein Leben lebenswert? Was sind meine Quellen? Dann blicke ich auf meine Mitmenschen, auf mein „Du“, und frage mich: Was kann ich dazu beitragen, diese Welt vor Ort, im Kleinen, im Alltag schöner, bunter und heller zu machen? Und schließlich darf ich mir vom Auferstandenen selbst die Beantwortung meiner Fragen in mein Herz schreiben lassen: Mit ihm darf ich gleichsam immer wieder „auf(er)stehen“ und mich wandeln lassen. Denn er ist ein Gott des Lebens und der österlichen Fülle.

Monsignore Engelbert Dirnberger Dekan des Dekanates München-Südost und Leiter des Pfarrverbands Obergiesing

Engelbert Dirnberger
Engelbert Dirnberger, Dekan des Dekanates München-Südost
Worauf verzichten Sie in der Fastenzeit?

Tatsächlich habe ich schon vor der Fastenzeit begonnen, meine Ernährung umzustellen. Ich versuche mehr als bisher selbst zu kochen, mit frischen und regionalen Gerichten, das will ich auf jeden Fall bis Ostern so weitermachen. Und nach 20 Uhr will ich keine Mails mehr bearbeiten, sondern mir mehr Zeit zum Lesen und zum Klavierspielen nehmen.
 
Welchen Sinn hat das christliche Fasten?

Christliches Fasten ist nie nur ein weniger, wie weniger Essen, weniger Rauchen, weniger Zeit in den Sozialen Medien und so weiter. Das „Weniger“ soll Platz schaffen für ein „Mehr“: Mehr Zeit für andere, insbesondere für jene, die in Not sind und meine Zuwendung brauchen; mehr Zeit für mich selbst, um mich neu auszurichten auf das, was meinem Leben gut tut; und mehr Zeit für die Beziehung zu Gott, für Achtsamkeit, Innerlichkeit und Gebet zum Beispiel.

Was können Sie Menschen, die zum ersten Mal fasten, empfehlen?


Wer sich zum ersten Mal Fastenvorsätze nimmt, sollte sich nicht überfordern. Je länger die Liste der angestrebten Veränderungen ist, desto schwerer ist sie umzusetzen. Also: Ein oder zwei Ziele, die auch realistisch sind, genügen. Und sollten die Vorsätze einmal nicht eingehalten werden, nicht die Flinte ins Korn werfen und aufgeben, sondern am nächsten Tag wieder weitermachen.

Pfarrer Thomas Neuberger Dekan des Dekanates Bad Tölz-Wolfratshausen und Leiter des Pfarrverbands Dietramszell

Thomas Neuberger
Thomas Neuberger, Dekan des Dekanates
Bad Tölz-Wolfratshausen
Worauf verzichten Sie in der Fastenzeit?

Früher glaubte ich immer, auf etwas verzichten zu müssen. Besser wäre es, etwas dazuzugewinnen. Zum Beispiel im Alltag weniger Hektik zu haben und mehr auf sich und die Zeit zu achten. Nicht so hektisch zwischen den Termin hin- und herzuhetzen, sondern mehr Zeit einzuplanen. Ich möchte mir für die Dinge, die mir wichtig sind, mehr Zeit nehmen, und weniger spontan sein müssen. Der nächste Termin findet dann eben statt um 14 Uhr erst um 14.30 Uhr statt. Ich möchte alles einfach bewusster tun.  
 
Welche Rituale sind für Sie in der Fastenzeit besonders prägend?

Das fängt mit Aschermittwoch an. Ich finde das Symbol der Asche sehr interessant. Eigentlich ist es Abfall, Schmutz und Dreck. In der Liturgie erhält sie etwas Besonderes, die Asche wird zu etwas Schönem und Wertvollem.

Dann der Gründonnerstag, wenn es um das Abräumen der Altäre geht. Alles, was beweglich ist, wird entfernt. Was festlich und feierlich ist, wird weggeräumt. Bei uns in der Klosterkirche in Dietramszell wird auch das Antependium, die bestickte Tafel, die den Hochaltar verkleidet, entfernt. Es bleibt nur der grob gemauerte und verputzte Altar übrig. Diese Klarheit, diese Verlassenheit beeindrucken mich immer wieder aufs Neue.  
 
Hat sich bei Ihnen oder in der Gesellschaft der Fokus in der Fastenzeit in letzter Zeit verschoben?  

In der Fastenzeit geht es nicht darum, etwas wegzulassen, damit es weg ist. Sondern darum, wieder mehr Platz für etwas Neues zu schaffen. Ich habe mal in der Fastenzeit auf Kaffee verzichtet – das hat schon weh getan! Natürlich hat der Kaffee an Ostern dann gigantisch geschmeckt. Aber geht es wirklich darum? Heute versuche ich viel mehr, mich auf Dinge, die mir wichtig sind, neu zu fokussieren. Das Konzept des Fasten passt gut in die heutige Zeit, ist gesellschaftlich akzeptiert. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob die Tiefe erkannt wird.

In der Öffentlichkeit hat Fasten meist eine rein körperliche Ebene, man denkt fast an Wellness. Aber es lässt sich auf allen Ebenen praktizieren: Körper und Geist! Da sehe ich noch viel Potential! Es gibt so viel, was unseren Geist vergiftet – die ewige Nörgelei, die Beleidigungen – online und im realen Leben. Diese Wochen könnten die Zeit sein, sich etwas zurückzuhalten und nicht überall giftige Kommentare zu hinterlassen.

Pfarrer Dr. Florian Schomers Dekan des Dekanates Traunstein, Leiter der Pfarrverbände Seeon und Trostberg und Pfarradministrator der Pfarrei Baumburg – St. Margareta

 
Dekan Schomers
Dr. Florian Schomers, Dekan des Dekanates Traunstein
Worauf verzichten Sie in der Fastenzeit?

Ich bin kein 100-prozentiger "Faster". Alkohol und Süßigkeiten versuche ich in der Fastenzeit bewusst zu genießen – oder komplett darauf zu verzichten. Ich habe vor einigen Jahren mit Heilfasten begonnen und das hat mir gesundheitlich gut getan. Daraus wurde bei mir eine Lebenshaltung.

Grundsätzlich führt jede Diät zunächst zum Abnehmen, aber danach holt sich der Körper alles wieder zurück. Da habe ich für mich erkannt, dass ich so etwas mein ganzes Leben lang tun und es in meinen Alltag einbauen muss. Nur dann wird es funktionieren. Diese Erfahrung aus dem medizinischen oder körperlichen Fasten hat mir eine wichtige Erkenntnis für mein spirituelles, christliches Fasten gebracht: Ich praktiziere das immer in der Kombination „Fasten, beten, Gutes tun“, indem ich mir beispielsweise eine Familie suche, die ich in dieser Zeit unterstützen kann.

Wir ahmen beim biblischen Fasten die 40 Tage von Jesus in der Wüste nach und versuchen, den Teufel oder das Böse quasi in die Wüste zu schicken. Wir sollten uns in der Fastenzeit daher besonders fragen, wo die Elemente des Bösen oder Nicht-Guten in unserem Leben wirksam sind und wie wir diese ausschalten können. Das ist für mich christliches Fasten. Dabei gilt aber: Gott braucht keine Leistung. Nur wir Menschen denken so.  
 
Welche Veranstaltungen, Erfahrungen oder Ereignisse sind Ihnen in der Fastenzeit besonders in Erinnerung geblieben?

Dass aus einfachen Fastenübungen Lebenshaltungen entstehen können. Ein Ehepaar, das ich seit 40 Jahren kenne, habe ich nach dem Geheimnis ihrer Ehe gefragt. Da haben die beiden erzählt, dass sie einmal auf Fastenexerzitien waren und der Pater ihnen vorschlug, jeden Abend vor dem Schlafengehen sich gegenseitig ein Kreuz auf die Stirn zu zeichnen. Sie haben das angefangen – und ein Leben lang durchgehalten. Und wenn sie nach einem Streit den ganzen Tag nichts miteinander geredet haben, wollte ich von ihnen wissen? Genau dann sei dieses Kreuzzeichen der Grund gewesen, wieder miteinander zu sprechen, antwortete die Frau. Das hat mich beeindruckt. Aus einer Fastenübung wurde eine Lebenshilfe.

Bereits im Oktober habe ich damit begonnen, jeden Morgen ein Kapitel aus der Bibel zu lesen – das kenne ich noch aus meiner Zeit im Kloster. Als Pfarrer bin ich zwar ständig von der Bibel umgeben, komme aber nicht dazu, die ganze Bibel von vorn bis hinten durchzulesen. Jetzt nehme ich mir jeden Tag ein Kapitel vor, 15 Minuten, und stehe dafür sogar früher auf. Diesen Luxus gönne ich mir gerade und praktiziere ihn in der Fastenzeit noch bewusster.  
 
Wozu regt die Fastenzeit noch an, abgesehen davon, auf bestimmte Dinge zu verzichten?  

Die Erfahrung des Mangels wird zu einer Erfahrung des großen Reichtums. Ich bin das Gegenteil  eines Minimalisten, die sich nur mit 100 Dingen oder so umgeben. Ich selbst habe hunderttausend Dinge um mich herum. Für die Fastenzeit habe ich mir vorgenommen, jeden Tag zwei bis drei Dinge wegzugeben. Ich schaffe es nicht immer, aber ich bemühe mich, meine Sachen, Schränke und Schubladen zu durchforsten und auszusortieren. Das hat einen selbstreflexiven Charakter. Ich frage mich dann oft, welchen Wert diese Dinge haben – und spende den Gegenwert. Der anfangs erwähnte Dreischritt ist mir wichtig – fasten, beten, Gutes tun. Sonst ist es kein biblisches Fasten.
Das Gespräch führte Christian Horwedel, Freier Mitarbeiter, März 2024