Die Passion im Krippenformat In der Fastenzeit werden Bilder vom Leiden Christi inszeniert

Wenn Christen das Wort „Krippe“ hören, werden wohl meist Assoziationen mit Weihnachten und der Geburt Jesu erweckt. Dabei kann eine Krippe als Theaterbühne im Miniaturformat so vieles mehr darstellen und erzählen. Annette Krauß, selbst Krippenbauerin und Autorin, gewährt in ihrem Gastbeitrag einen eindrucksvollen Blick hinter die Kulissen der (Jahres-) Krippen und ihre biblischen Botschaften.
esus trägt sein Kreuz Bürgersaal
Krippe – das ist für viele Menschen eng mit Weihnachten verbunden. Ob in der Kirche oder im Wohnzimmer: Da liegt das Kind in Windeln gewickelt in der Futterkrippe, umgeben von Maria und Josef, von Ochs und Esel im Stall. Vom Feld eilen die Hirten herbei, in der Höhe tanzen und singen die Engel. Und am Dreikönigstag bricht die Exotik in diese bäuerliche Szene, wenn drei kostbar gewandete Männer auf Kamelen, Pferden und Elefanten heranreiten und dem Kind Gold, Weihrauch und Myrrhe bringen. Welch ein prächtiges Schauspiel! Spätestens an Mariä Lichtmess wird alles wieder gut verpackt für ein ganzes Jahr.

Dabei zeigt die Krippe ein großes Wunder, nämlich dass ein kleines Kind als Sohn Gottes zu uns auf die Welt kommt. Meist wird die Szene als Idylle inszeniert – obwohl die Umstände in der Stall-Höhle von Bethlehem für eine Niederkunft nicht so bequem gewesen sein dürften und die Szenerie eigentlich mehr von Armut denn von göttlicher Pracht erzählt.
 

Mehr als die heimelige weihnachtliche Szene

Krippe ist aber viel mehr als die heimelige weihnachtliche Szene. Krippe zeigt auch Gewalt, Blut, Schmerzen und Verzweiflung. Denn die ursprüngliche Weihnachtskrippe entwickelte sich ab dem 18. Jahrhundert weiter zur Fastenkrippe, die das Geschehen zwischen Palmsonntag und der Osternacht zeigt. In Tirol und in Bayern fertigten Kunsthandwerker kleine, fertig eingerichtete Schreine, die mit winzigen Figuren den Weg Jesu hinauf nach Golgatha darstellen und die vor allem der persönlichen Andacht dienten. Doch auch in Klöstern und Wallfahrtskirchen wurde nach und nach der Figuren-Fundus der vorhandenen Krippe erweitert. Und vor allem in Bayern entstanden vielerorts „Jahreskrippen“, die ganzjährig entlang der Sonntags-Evangelien die Geschichten der Bibel vor Augen stellen.

Damit verlässt die Krippe die Idylle der Weihnacht: Wenn die heilige Familie sich auf den beschwerlichen Fluchtweg nach Ägypten macht, toben die Soldaten des Königs Herodes in Bethlehem und ermorden alle Buben unter zwei Jahren. Die Schwabinger Pfarrkirche St. Sylvester besitzt einen Figurenschatz, der sich zu einer solch außergewöhnlichen Szene arrangieren lässt (jeweils im Februar zu sehen). Damit wird deutlich: Krippe ist ein Medium, das biblische Botschaft vermittelt. Und die Bibel ist genauso wenig gewaltfrei wie unsere Gegenwart.
 

Dramatischer Stoff auf „Theater-Bühnen“ im Miniaturformat

Mit dem Aschermittwoch beginnt auch in der Krippe die Fastenzeit. München ist mit über dreißig Jahreskrippen in Kirchen der Stadt und Umgebung reich gesegnet. Auf diesen „Theater-Bühnen“ im Miniaturformat wird die ganze Dramatik des Weges Jesu nach Golgatha dargestellt. Ehrenamtliche Krippenbauer haben dabei die Auswahl unter einer Vielzahl von Szenen, die darstellbar sind. Und jeder und jede, die eine solche Jahreskrippe betreut, wählt aus, was dieses Jahr gezeigt wird, was „dran“ ist.

Die Reihe der möglichen Szenen beginnt am Aschermittwoch mit dem erwachsenen Jesus, der sich durch vierzig Tage Fasten in der Wüste auf seinen Weg als Messias vorbereitet und dort mit klugen Worten dem Teufel widersteht. In der Tradition der Jahreskrippen steht dann der erste Fastensonntag für das einsame Gebet Jesu im Garten Gethsemane, gefolgt von der Geißelung durch die Soldaten am zweiten Fastensonntag und der Dornenkrönung am dritten Fastensonntag. Der Kreuzweg und die Kreuzübernahme durch Simon von Cyrene sind Bilder am vierten und fünften Sonntag.
 
In der Praxis werden diese Szenen nicht Woche für Woche umgebaut, sondern der jeweilige Betreuer einer Jahreskrippe wählt eine dieser Szenen für die gesamte Fastenzeit aus – im folgenden Jahr nach Möglichkeit eine andere. Und die Auswahl ist noch größer, denn zu Palmsonntag bietet sich der Einzug Jesu in Jerusalem an. Die Evangelien mit ihren Passionsberichten liefern weiteren Stoff für die Krippe: das Letzte Abendmahl mit seiner Dramatik („Einer unter euch wird mich verraten“, Matthäus 26,21); die Fußwaschung mit dem eifrigen Petrus, der von Kopf bis Fuß gewaschen werden will; die Übergabe Jesu an die Soldaten durch Judas, der seinen Rabbi umarmt und küsst. Und in welcher Haltung steht Jesus vor Pilatus, als das Volk schreit: „Kreuzige ihn!“ (Johannes 19,15)?
 

Annäherung an die Geheimnisse des Glaubens

Gerade in den letzten Tagen Jesu spielen Frauen eine entscheidende Rolle. Sie stehen als Trauernde am Weg hinauf nach Golgatha, sie stehen als Verzweifelte unter dem Kreuz. Und sie sind tief bewegte Zuschauerinnen, als Jesus vom Kreuz abgenommen und in die Grabeshöhle gelegt wird.

Mit diesen Darstellungen endet die Fastenkrippe. Dann folgen Szenen, die zu den Schwersten gehören, was darstellbar ist auf einer kleinen Krippenbühne: der weiße Glanz in der dunklen Höhle, der die Frauen blendet, als sie den Toten salben wollen und nur das Leintuch finden. Das Staunen der Magdalena, die im ersten Morgenlicht im Garten ihren Rabbi erkennt. Und wie sieht der verwandelte Jesus aus, der dem zweifelnden Thomas vor aller Augen seine Wunden zeigt?

Die Osterkrippe ist die hohe Kunst des Krippenbaus. Und immer ist es nur eine Annäherung an die Geheimnisse des Glaubens, die ein Krippenbild veranschaulichen kann. Vielleicht ist sie deshalb wichtig, die Krippe jenseits des Weihnachtsgeschehens. Sie kann durch eindringliche Bilder unsere Augen öffnen dafür, dass Jesus uns gerade dann nahe ist, wenn Leid, Schmerz und Verzweiflung uns zu überwältigen drohen – weil er selbst mitten in diesem Leiden anwesend ist.

Text: Annette Krauß, Krippenbauerin und Autorin, Stand März 2021
Bilder: Die Bild-Beispiele zeigen die Jahreskrippe der Marianischen Männerkongregation am Bürgersaal in München sowie die Jahreskrippe der Pfarrkirche St. Ursula, München. Die Abbildungen aus St. Ursula sind ebenfalls zu finden in dem Buch „Seelenspiegel Krippe“ von Annette Krauß und Pfarrer Thomas Schwaiger, erschienen im Anton H. Konrad Verlag 2020

Krippen in München und Umgebung

Einen Überblick über Weihnachts- und Jahreskrippen in München und Umgebung bieten diese Websites:

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