München, 24. Juli 2020. Kardinal Reinhard Marx hat ein stärkeres Aufeinanderhören in der Kirche eingefordert und die Entstehung der vatikanischen Instruktion der Kleruskongregation „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche“ kritisiert. „Es ist schon etwas merkwürdig, wenn ein Dokument von Rom kommt, ohne dass jemals mit uns darüber gesprochen wurde – ist das ein Miteinander von Universal- und Teilkirche, wie man sich das wünscht? Eigentlich nicht“, sagte der Erzbischof von München und Freising in seiner Predigt beim Gedächtnisgottesdienst anlässlich des 44. Todestages seines Vorgängers Kardinal Julius Döpfner am Freitagabend, 24. Juli, im Münchner Liebfrauendom.
Marx sprach über den Dreiklang „Hören – Verstehen – Frucht bringen“. Um die Zeichen der Zeit zu lesen im Lichte des Evangeliums, brauche man die Sensibilität des Hörens. „Aber der nächste Schritt ist entscheidend: Verstehen. Verstehen können wir nicht alleine. Verstehen können wir nur im Miteinander der Kirche. Verstehen können wir nur, wenn wir aufeinander hören und miteinander gehen“, mahnte Kardinal Marx an. Das gelte für die gesamte Kirche, wenn sie den Weg suche, missionarisch zu werden und das Evangelium zu verkünden. „Da kann nicht einer etwas verkünden und die anderen sollen einfach folgen, sondern da müssen wir aufeinander hören, miteinander lernen, die Erfahrungen der Ortskirche aufnehmen – was ich in dem Dokument, das in diesen Tagen erschienen ist, vermisse“, so Marx. „Als hätten wir in Deutschland noch nie über missionarische Pfarreien nachgedacht!“ Der Kardinal erinnerte an den „in großer Einmütigkeit“ von der Deutschen Bischofskonferenz erarbeiteten Text „Gemeinsam Kirche sein“ und beklagte Bezug nehmend auf den aktuellen Text der Kleruskongregation: „Man spürt nicht, dass etwas von dem wahrgenommen wurde“. Die Instruktion habe Misstrauen gesät und Gräben vertieft, was zu neuen Spaltungen und Spannungen führe. „So entsteht keine Frucht“, resümierte der Erzbischof von München und Freising.
Marx erinnerte an den Impuls von Papst Franziskus für eine synodale Kirche und beklagte: „Synodale Kirche ist etwas anderes als das, was wir jetzt erlebt haben.“ Die Mitglieder des Kardinalsrats, der als päpstliches Beratergremium zur Reform der Kurie von
Papst Franziskus eingerichtet wurde und dem Marx angehört, hätten im Gespräch mit dem Heiligen Vater immer wieder gesagt, „dass die Kurie nicht einfach nur ein Kontrollorgan ist über den Bischöfen, sondern eine Hilfe für die gesamt Kirche, damit die Kirche zusammen bleibt“, so Marx. Es brauche ein neues Miteinander von Rom und den Ortskirchen. Kardinal Döpfner könne eine Orientierungsgestalt auf diesem Weg sein, würdigte Marx seinen Vorgänger, der von 1961 bis 1976 Erzbischof von München und Freising war.
Nach der Bischofsmesse zog Kardinal Marx mit dem Liturgischen Dienst in die Krypta zu den Gräbern seiner verstorbenen Amtsvorgänger, um dieser im stillen Gebet zu gedenken. Kardinal Julius Döpfner, am 26. August 1913 im unterfränkischen Hausen (heute Stadtteil von Bad Kissingen) geboren, prägte das kirchliche Leben in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Er war Bischof von Würzburg, Bischof von Berlin und Erzbischof von München und Freising. Von 1965 bis zu seinem frühen Tod am 24. Juli 1976 saß er der Deutschen Bischofskonferenz vor, er war einer der vier Moderatoren des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) und Präsident der Würzburger Synode (1971-1975). Sein Wirken war motiviert von der Vision einer Kirche, die sich selbst ständig prüft, reformiert und erneuert („ecclesia semper reformanda“). In der Aufbruchstimmung vor und nach dem Zweiten Vatikanum war Döpfner auf den Ausgleich zwischen den divergierenden Richtungen innerhalb der katholischen Kirche bedacht. (glx)