Hinter dieser Nummer steckt die Kirche der Zukunft TelefonSeelsorge Bayern stellte Evaluation vor

Kirchenkrise? Nicht an den 17 bayerischen TelefonSeelsorge-Stellen, wenn es nach einer Umfrage des Zentrums für angewandte Pastoralforschung (zap) der Ruhr-Universität Bochum geht. Diese kennzeichnet die TelefonSeelsorge als „ausstrahlungsstarken kirchlichen Ort von hoher personeller Vitalität und beeindruckender fachlicher Qualität“. So ist es in der Ergebniszusammenfassung nachzulesen, die das zap unter den Titel „Hier liegt die Kirche der Zukunft“ gestellt hat.

Die Umfrage unter Mitarbeitenden, Trägern aus evangelischer und katholischer Kirche sowie Stakeholdern, also Politik, anderen Beratungsstellen und Fachpersonal, fand rund um den Jahreswechsel 2024/2025 statt. Am 29. Oktober stellten Pastoraltheologe Professor Matthias Sellmann und Doktorin Mirjam Zimmer vom zap in der Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus in Nürnberg die Ergebnisse vor.
Dr.in Miriam Zimmer stellt die Ergebnisse der Bayernstudie vor.
Drin Mriam Zimmer vom zap stellt die Studienergebnisse vor (Foto: TelefonSeelsorge/Tobias Lehner)
Auch Kirchenferne engagieren sich für die Seelsorge

Die Studienmacher zeigten sich beeindruckt von der verglichen mit anderen Erhebungen hohen Teilnehmerzahl: Über 800 Personen, davon 582 Ehrenamtliche, beteiligten sich an der Umfrage. Über zwei Drittel der Mitarbeitenden der TelefonSelelsorge sind weiblich, das Durchschnittsalter liegt bei 57 Jahren. Diese „Bestager“ seien ein Potenzial, das es zu erhalten und fördern gelte, so die Studie.

Soziologin Zimmer fasste die Erkenntnisse so zusammen: „Die TelefonSeelsorge ist Ort hoch identitätsstiftenden und qualifizieren Engagements und Stabilisator in akuten Krisen.“ Beeindruckt zeigte sich Zimmer, dass 24 Prozent der teilnehmenden Ehrenamtlichen zwar aus der Kirche ausgetreten seien, sich aber dennoch dezidiert für einen kirchlichen Dienst engagierten. „Insbesondere die Ehrenamtlichen finden religiöse Themen für ihr Engagement wichtig“, betonte Zimmer.

„Religiöse Vitalität, ohne ständig über Religion zu sprechen“

Professor Sellmann bezeichnete die TelefonSeelsorge als „Lernort für Kirche und Gesellschaft“. Die TelefonSeelsorge sei Trägerin eines „grundlegenden Versprechens: Wenn dir das Leben und seine Herausforderungen zu groß werden, bist du nicht allein“. Der Sinn und die Aufgabe von Kirche bestünde darin, dass dieses Versprechen eingehalten werde.

Dabei zeige sich die „Vitalität von Religion gerade darin, dass man nicht immer über sie sprechen muss“, erläuterte Sellmann mit Blick darauf, dass sich die TelefonSeelsorge nicht als missionarisches Angebot verstehe. Gerade deshalb sei sie wirksam und könne ein Vorbild für die territoriale Seelsorge sein, auf der noch immer ein Schwerpunkt der kirchlichen Wahrnehmung liege.

Sellmann leitete aus der Studie die Empfehlung ab, die Diversität der TelefonSeelsorge im Hinblick auf Ehrenamtliche und Zielgruppen zu fördern. Die TelefonSeelsorge könne auch Ausgangspunkt für eine interreligiöse Seelsorge werden, die auch jüdische, muslimische und Gläubige fernöstlicher Religionen einbeziehe. „Die TelefonSeelsorge ist ein fester Anker für Kirche und Gesellschaft. Die Kirche würde aufhören, Kirche zu sein, wenn sie dieses Angebot einschränken oder aufgeben würde“, resümierte Sellmann.
Statement von Prof. Sellmann
Blick in das Auditorium beim Statement von Prof. Sellmann (Foto: TelefonSeelsorge/Tobias Lehner)
„TelefonSeelsorge ist wichtig und wirksam“

Die bayerische TelefonSeelsorge sei „die erste, die ihre Arbeit hat evaluieren lassen“, betonte die Sprecherin der Regionalkonferenz Bayern und Leiterin der TelefonSeelsorge Ostoberfranken, Elisabeth Peterhoff. Mit ihrem katholischen Sprecher-Kollegen Dr. Alfons Motschenbacher aus Bamberg steht sie für das jahrzehntelange ökumenische Miteinander innerhalb der TelefonSeelsorge; die meisten Stellen befinden sich in ökumenischer Trägerschaft.

Peterhoff nannte zwei Gründe für die Evaluation: Es gelte jetzt die Weichen für ein zukunftsfähiges, tragfähiges Seelsorgeangebot zu stellen. Diese gehe aber nicht ohne finanzielle und personelle Stabilität. „Wir alle wissen, dass die finanziellen Spielräume der Kirchen enger werden. Mehr denn je steht jetzt die Entscheidung an: Was ist und bleibt wichtig, was ist wirksam?“, erklärte Peterhoff. Die Evaluation belege erstmals empirisch nachprüfbar, dass die TelefonSeelsorge wirksam und wichtig sei: „Wichtig als Ort gelebten Glaubens und wirksam in vielen Lebensbereichen der Menschen, die sich an uns wenden“.

Es sei zwar noch nicht möglich gewesen, die Menschen zu befragen, die sich per Telefon, Mail und Chat an die TelefonSeelsorge wenden – das läge an den Finanzen und der hohen Anonymität, die stets gewährleistet sein müsse. „Vielleicht können wir das mit einer Folgestudie auf Bundesebene tun. Mit der bayerischen Studie ist ein erster Schritt der wissenschaftlichen Auswertung gegangen worden“, sagte Peterhoff.

„Fels in der Brandung“

In einem Video-Grußwort würdigte die Bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach die TelefonSeelsorge und ihre über 1100 zumeist ehrenamtlich Mitarbeitenden als „Symbol für Hoffnung und Menschlichkeit in unserem Freistaat.“ Die TelefonSeelsorge stehe für Grundwerte wie Solidarität, Nächstenliebe und Respekt. „Lassen Sie uns weiter gemeinsam dafür Sorge tragen, dass die Menschen in Bayern mit ihren Sorgen und Nöten nicht allein gelassen werden. Die TelefonSeelsorge ist und bleibt dabei ein Fels in der Brandung für alle, die Hilfe suchen. Gut, dass es sie gibt“, schloss Ministerin Gerlach.
Gesundheitsministerin Gerlach bei ihrem Video-Grußwort
Staatsministerin Judith Gerlach bei ihrem Video-Grußwort. (Foto: TelefonSeelsorge/Tobias Lehner)
Wertschätzung braucht auch Mittel“

In der anschließenden Diskussionsrunde wurden auch die aktuellen Herausforderungen der TelefonSeelsorge deutlich. Ruth Belzner, Leiterin der TelefonSeelsorge Würzburg/Main-Rhön, sah in der einbrechenden finanziellen und personellen Ausstattung eine „gefährliche Rutschbahn abwärts.“ Viele Mitarbeitende liefen Gefahr, sich über die eigene Grenze zu verausgaben. Es brauche deshalb vor allem eine zukunftsfeste finanzielle Ausstattung, betonte auch Tanja Maier, ehrenamtliche Mitarbeiterin der TelefonSeelsorge Mühldorf am Inn: „Ich höre viel Lob und Wertschätzung, aber wir brauchen auch Mittel, damit Aus- und Fortbildungen weiterhin in diesem Umfang möglich sind.“

Der evangelische Landesbischof Christian Kopp gab zu, dass der Blick auf die Wirksamkeit von kirchlichen Angeboten bislang noch nicht so dezidiert im Fokus der Aufmerksamkeit stand. In Zeiten knapper Kassen gelte es zu priorisieren. „Gerade in der Corona-Pandemie hat die TelefonSeelsorge ihre Sichtbarkeit gezeigt für die gesamte Gesellschaft. Deshalb ist auch der Staat mit in der Pflicht.“

Dem stimmte der Leiter des Katholischen Büros Bayern, Dr. Matthias Belafi, bei: „Die Kirche kann nicht mehr alles finanzieren. Es ist schwierig, aber fantastisch, was Einrichtungen wie die TelefonSeelsorge für die Gesellschaft leisten.“
Podiumsteilnehmer und Ehrengäste bei der Studienpräsentation
Podiumsteilnehmer und Ehrengäste bei der Studienpräsentation. (Foto: TelefonSeelsorge/ Tobias Lehner)
„Essenzieller Partner“ am Limit

Ministerialrat Daniel Renné, zuständig für den Bereich Psychische Gesundheitsvorsorge im Bayerischen Gesundheitsministerium, betonte: „Die TelefonSeelsorge ist ein essenzieller Partner. In vielen Bereichen nimmt ehrenamtliches Engagement ab, bei der TelefonSeelsorge bleibt sie hoch.“ Er verwies bei der Frage der Finanzierung auf den Bund und hob das Engagement des Freistaats für die Krisendienste Bayern hervor, die seit fünf Jahren flächendeckend eingeführt seien.

„Die Zusammenarbeit der Krisendienste mit der TelefonSeelsorge ist wesentlich“, betonte die Ärztliche Leiterin des Krisennetzwerks Unterfranken, Dr. Simona Kralik. Sie verwies auf gemeinsame Aktionen und Handlungspapiere. Die TelefonSeelsorge sei gerade für Menschen mit längerfristigen psychischen Erkrankungen eine große Hilfe.

Von Trägerseite beteiligten sich Sandra Schuhmann vom Diakonischen Werk Bayern und Domkapitular Clemens Bieber, Vorstand des Caritasverbands Würzburg, an der Diskussion. „Die psychosoziale Versorgung ist überlastet“, stellte Schumann fest, und Bieber betonte: „Wir brauchen Mut zum Priorisieren und dürfen nicht nur kürzen“. Ihn beeindrucke, wie viele Menschen sich nach wie vor aus dem Glauben heraus für die TelefonSeelsorge engagierten.