Welttag der Suizidprävention: Gedenken an 207 Suizid-Tote mit T-Shirt-Aktion auf dem Münchner Gärtnerplatz

Zum Welttag der Suizidprävention am 10. September hat ein Bündnis aus Münchner Beratungsdiensten auf die 207 Personen aufmerksam gemacht, die sich allein 2023 in der Landeshauptstadt das Leben genommen haben – erneut mehr als in den beiden Vorjahren. Im Gedenken an die Suizidtoten wurden auf dem Gärtnerplatz Hemden und T-Shirts ausgelegt. Sie symbolisieren: Jede und jeder Tote hinterlässt eine schmerzliche Lücke.
 
Wie schon im Vorjahr wurde die Aktion gemeinsam von den Beratungsdiensten DIE ARCHE Suizidprävention und Hilfe in Lebenskrisen e. V., der Katholischen und Evangelischen Telefonseelsorge München, der Krisenberatungsstelle Münchner Insel und dem Krisendienst Psychiatrie Oberbayern veranstaltet. 
Ansprache von Stadtrat Wolfgang Jagel (Die Linke) bei der Aktion auf dem Gärtnerplatz
Stadtrat Wolfgang Jagel (Die Linke) bei seiner Ansprache. (Foto: Wolfgang Englmaier/Bezirk Oberbayern)
Oberbürgermeister Reiter: „Suizidprävention ist gemeinsame Verantwortung“
 
In diesem Jahr hatte erstmals Oberbürgermeister Dieter Reiter die Schirmherrschaft übernommen; er teilte mit: „Jede Nachricht eines Suizids macht uns tief betroffen und verdeutlicht die Dringlichkeit, Suizidprävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu begreifen.“ Reiter dankte dem Aktionsbündnis Suizidprävention für seinen Dienst an Menschen in schwierigen Lebenssituationen. „Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, aufmerksam zu sein, zuzuhören und Betroffene zu begleiten – nur so können wir Leid verhindern und Leben retten.“
 
Als Vertreter der Landeshauptstadt München war der Korreferent des Gesundheitsreferats und Vorsitzende der Stadtratsfraktion Die Linke, Stefan Jagel, zu der Gedenkaktion gekommen. „Suizid geschieht selten aus dem Wunsch heraus, das Leben zu beenden, sondern aus einer Notlage, in der Betroffene keinen Ausweg mehr sehen. Verluste, finanzielle Sorgen, Krankheiten oder familiäre Konflikte können Menschen in eine solche Krise treiben“, sagte Jagel in seinem Grußwort.
 
Umso wichtiger sei es, die Anzeichen für Suizide zu erkennen und das offene Gespräch zu suchen, so der Stadtrat. „Das ist oft der erste Schritt, um Leben zu retten. Suizid ist eine gesellschaftliche Herausforderung, die Aufklärung, Sensibilisierung, Entstigmatisierung und verlässliche professionelle Hilfen braucht.“
Teilnehmer der Aktion auf dem Gärtnerplatz.
Teilnehmer:innen der Aktion auf dem Gärtnerplatz (Foto: Wolfgang Englmaier/Bezirk Oberbayern)
Suizide zum zweiten Mal in Folge gestiegen
 
2023 haben sich in Deutschland nach Angaben des Nationalen Suizidpräventionsprogramms (NaSpro) 10.304 Menschen das Leben genommen, das sind 1,8 Prozent mehr als im Vorjahr. 2022 lag die Zahl der Suizidtoten erstmals seit zehn Jahren wieder über der 10.000er-Marke.
 
Die Suizidrate in Bayern liegt über dem Bundesdurchschnitt, hier starben 2023 1799 Menschen durch Suizid. „Zudem ist von einer Dunkelziffer auszugehen, da gerade Suizide im Alter nicht immer als solche erkannt werden“, wie die Veranstalter der Gedenk-Aktion mitteilen. Die Zahlen für 2024 werden vom Naspro Mitte September veröffentlicht.
 
„Zwei Jahre in Folge sind die Suizidzahlen bundesweit und auch in München gestiegen“, erklärte die Geschäftsführerin von DIE ARCHE, Heidi Graf. Umso wichtiger sei es, das Thema Suizid aus der Tabuzone zu holen. Die Aktion zum Welttag der Suizidprävention wolle dazu einen Beitrag leisten.
 
Neben der Gedenkaktion hatte das Aktionsbündnis einen Infostand auf dem Gärtnerplatz aufgebaut, um über Beratungsangebote für Betroffene und Angehörige zu informieren. Suizidprävention setze nämlich schon weit vor der suizidalen Krise an, betonte Krisendienst-Geschäftsführerin Cornelia Maier. „Leider kennen viele Menschen diese Hilfsangebote nicht oder scheuen sich, sie wahrzunehmen. Wir wollen Mut machen und zeigen, dass niemand allein durch schwierige Zeiten gehen muss.“
207 T-Shirts für 207 Suizide in München
207 T-Shirts für 207 Suizide: Suizidprävention bleibt ein gemeinsamer Kraftakt. (Foto: Wolfgang Englmaier/Bezirk Oberbayern)
Ernst nehmen statt stigmatisieren
 
Sheila Bornhäuser, Stellvertretende Leiterin der Evangelischen Telefonseelsorge München, wies darauf hin, dass sich täglich Menschen mit suizidalen Gedanken meldeten: „Suizidale Krisen sind Momente tiefster Verzweiflung – häufig verbunden mit intensiven Scham- und Schuldgefühlen sowie großer Hilflosigkeit. Durch das rund um die Uhr erreichbare Angebot der Telefonseelsorge erfahren sie ohne Anmeldeformalitäten unmittelbar, dass sie ohne Verurteilung angenommen werden. Tag für Tag werden hier erste kleine Schritte aus der Krise ermöglicht.“
 
Trotz dieser wichtigen Funktion seien viele Hilfseinrichtungen am Limit, kritisierte Alexander Fischhold, Leiter der Katholischen Telefonseelsorge München: „Die Mittel werden weniger – das geht auch zulasten der professionellen Beratung und Begleitung. Pauschale Forderungen, wie zum Beispiel die Kirchensteuer abzuschaffen, helfen da nicht weiter. Im Gegenteil: Es sind immer noch oft die Kirchen und vor allem die kirchlich engagierten Ehrenamtlichen, die Menschen in existenziellen Krisen beistehen.“
 
Dabei sei Suizidprävention keine Privatsache, wie der Leiter der Krisenberatungsstelle Münchner Insel, Norbert Ellinger, betonte: „Sie braucht politische Aufmerksamkeit, ausreichend Finanzierung und niedrigschwellige Anlaufstellen.“ Die Beratungsstellen des Aktionsbündnisses Suizidprävention wollten „Räume schaffen, in denen seelische Not nicht stigmatisiert, sondern ernst genommen wird.“
 
Neben der Katholischen und der Evangelischen Telefonseelsorge ist der vom Bezirk Oberbayern mitfinanzierte Krisendienst Psychiatrie Oberbayern kostenlos rund um die Uhr und an allen Tagen des Jahres erreichbar. In der Münchner Insel wie bei DIE ARCHE können sich Menschen in suizidalen Nöten ebenso wie Angehörige auch kurzfristig melden.
Banner Welttag Suzidprävention 10. September 2024