40 Tage für die Ewigkeit Was hat es mit diesem besonderen Zeitmaß auf sich?

Zahlen
Vierzig Tage und Nächte dauert die Fastenzeit, die auf das Osterfest hinführt. Ebenso lang war früher auch die Vorbereitungszeit auf Weihnachten. Denn vierzig Tage und Nächte war Jesus in der Wüste, bevor er sich aufgemacht hat, in Galiläa und später in Jerusalem das Evangelium Gottes zu verkünden. 
Er fastete, ihn hungerte; er wurde, heißt es, vom Satan versucht, er hat diese Versuchung aber bestanden und dadurch den Weg freigemacht, dass Menschen sehen können, wie unendlich nahe Gott ihnen gekommen ist, und dass sie zu glauben vermögen, diese Nähe zu spüren.

Die Vierzig ist eine der wichtigsten Symbolzahlen der Bibel. Vierzig Tage und vierzig Jahre geben immer wieder den Rhythmus der Heilsgeschichte an. Vierzig Jahre war Israel in der Wüste unterwegs, heraus aus Ägypten und hinein ins Gelobte Land. Vierzig Tage und vierzig Nächte blieb Mose auf dem Berg Sinai, um von Gott das Gesetz zu empfangen, die Weisung des Lebens, so wie Elija vierzig Tage und Nächte wanderte, um zum Gottesberg zu gelangen, wo er Gott nicht im Gewittersturm, sondern im Hauch eines leisen Wehens erkannte. In vierzig Tagen erkundeten die Boten das Gelobte Land, bevor das Gottesvolk über den Jordan gezogen sein wird. Vierzig Tage hatte Ninive bei Jona Zeit zur Umkehr – und nutzte die Frist, durchaus zum Unwillen des Propheten.

Vierzig Tage erschien Jesus den Seinen nach seiner Auferstehung, um ihnen bis zur Himmelfahrt vom Reich Gottes zu erzählen. Der Bogen der Vierzig spannt sich von der Sintflut und der Arche Noah über die Zeiten der Richter wie der Könige Saul, David und Salomo bis zu Jesus und zur frühen Kirche. Was hat es mit diesem besonderen Zeitmaß auf sich?
 

Ein menschliches Maß

Für die Woche steht die heilige Zahl Sieben, für das Jahr die gleichfalls heilige Zahl Zwölf. Die Vierzig orientiert sich aber weder am Verlauf der Woche noch des Monats. Sie passt auch nicht zum Reigen der Jubiläen, die alle fünfzig Jahre gefeiert werden (7 x 7 + 1). Vierzig Tage dauert es, dass die Plejaden, das in der Antike bekannte Siebengestirn, hinter der Sonne verschwinden. Aber diese astronomische Beobachtung ist nicht entscheidend für die biblische Bedeutung der Zahl.

Die Vierzig sind ein menschliches Maß. Vierzig Jahre sind lang genug, um eine Ära zu prägen, aber nicht zu lang, um nicht einen Fortgang der Geschichte zu erlauben, den Beginn einer neuen Epoche. Vierzig Tage sind lang genug, um tiefe Erfahrungen zu sammeln, aber nicht zu lang, um nicht in Erinnerung zu behalten, was vorher war, und Pläne zu schmieden, was danach kommen soll. Vierzig Jahre gelten als Zeit eines Generationswechsels.

Mit vierzig soll man der Bibel zufolge spätestens heiraten, mit vierzig gilt man als fähig, wichtige berufliche Aufgaben zu übernehmen; mit vierzig kann ein Rabbinenschüler eigenständige Entscheidungen treffen. Diese Altersgrenze ist ein bis heute aktueller Richtwert. 

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland schreibt vor, dass man mindestens vierzig Jahr alt sein muss, um zum Bundespräsidenten gewählt werden zu kennen. Vierzig Tage sind nötig, dass eine Entscheidung reift und ein Werk vollendet wird. In der apokryphen Literatur des antiken Judentums heißt es von Esra, dass er in vierzig Tagen vierundneunzig heilige Bücher diktiert habe, von denen siebzig geheim zu halten seien, während die vierundzwanzig ersten zu veröffentlichen wären, als Bibel, als „Altes Testament“, das in Vergessenheit geraten war. Es ist ein Schreiben wie im Rausch: „Ein voller Becher wurde mir gereicht. Er war wie mit Wasser gefüllt, dessen Farbe dem Feuer gleich war. Ich nahm ihn und trank. Als ich aber getrunken hatte, sprudelte mein Herz Einsicht hervor und meine Brust schwoll an von Weisheit. Mein Geist aber bewahrte die Erinnerung. Mein Mund öffnete sich und schloss sich nicht wieder“ – vierzig Tage lang; dann ist das Werk vollbracht.
 

Ein religiöser Rhythmus

Weil die Vierzig ein menschliches Maß ist, hat sie auch eine göttliche Bedeutung. Im Hebräischen steht der Buchstabe Mem, der dreizehnte des Alphabets, für den Zahlenwert 40, so auch im Griechischen das My, gleichfalls der dreizehnte Buchstabe – wobei die Dreizehn erst in der Moderne eine Unglückszahl ist, während sie genuin die Erste nach der Zwölf ist, also einen neuen Anfang markiert. Die jüdische Mystik hat beobachtet, dass Mose und der Messias mit diesem Buchstaben beginnen und enge Beziehungen zur Identität und Zukunft Israels geknüpft.

Die Vierzig ist die Zahl einer kultivierten Erfahrung, seien es vierzig Tage oder vierzig Jahre. Sie nimmt den Rhythmus des persönlichen, des familiären und des politischen Lebens auf, um den Kontakt mit Gott anzubahnen, und sie prägt ihrerseits im Zeichen Gottes mit Fest- und Fastenzeiten, mit Generationenfolgen und Berufskarrieren das Leben eines Menschen, eines Volkes und der ganzen Menschheit.

Die Fastenzeit Jesu ist ein Paradebeispiel. Jesus wird vom Geist Gottes in die Wüste geführt – dorthin, wo Israel war und wohin Johannes der Täufer das Volk aus dem gelobten Land gerufen hat, damit die Menschen ein ehrliches Bekenntnis der Sünden ablegen und der Umkehr einen angemessenen Ort geben: Sie sollen Gott mit seinem heiligen Zorn Recht geben.

Jesus wird zeit seines öffentlichen Lebens nicht in der Wüste, sondern mitten unter den Menschen sein. Er tritt dafür ein, Gott mit seiner Liebe Recht zu geben. Aber er kennt die Wüste und den Hunger, er wollte dahin gehen, wo Israel war und wohin die Menschen gegangen sind, die wussten, dass sie Schuld zu bekennen hatten. Er wollte nicht nur einen Kurztrip machen, um ein wenig die herbe Schönheit der Wüste zu genießen. Er wollte sich der Wüste stellen. Er kannte die Versuchung, nicht Gott, sondern sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Er hat sie bestanden, weil er Gott die Ehre gegeben hat: vierzig Tage und ein ganzes Leben lang.
 

Eine kirchliche Phase

Fastenmahl
Die Fastenzeit nimmt das menschliche Maß auf und schwingt in den Rhythmus des Kirchenjahres ein. Sie ist lang genug, um nachhaltig zu wirken; sie zieht sich nicht unendlich hin, sondern hört definitiv auf, weil eine wunderbare neue Zeit anbrechen wird: die Osterzeit der Auferstehung Jesu. Die Fastenzeit wird jedes Jahr neu begangen, weil es immer der Umkehr bedarf und weil immer neu die Osterfreude anstecken soll, die desto größer ist, je intensiver man sich vorbereitet hat.

Die vierzig Tage beginnen mit dem Aschermittwoch, der Erinnerung an die eigene Schuld und Schwäche, an den eigenen Tod: „Bedenke Mensch, dass du Staub bist und wieder zum Staub der Erde zurückkehrst“. Die vierzig Tage enden mit dem Palmsonntag, der den grandiosen Einzug Jesu in Jerusalem feiert und mit der Passionswoche, die über den Gründonnerstag, den Karfreitag und Karsamstag zur Osternacht und zum Ostertag führt – der in der Liturgie der Kirche nicht so schnell aufhört, sondern wiederum vierzig Kalendertage umfasst, bis Christi Himmelfahrt, dem einzig wahren „Vatertag“, und dann noch einmal zehn bis Pfingsten, dem Fest des fünfzigsten Ostertages.

Die Evangelien der Fastenzeit sind Wegweiser und Wegbegleiter auf dieser Reise. Zuerst steht die Versuchung mit dem Sieg Jesu über Satan, dann die Verklärung mit dem Abstieg vom Berg in die Mühen der Ebene, danach die Tempelaustreibung, die ein Haus des Gebetes für alle Völker errichten soll, schließlich stehen zwei Beispiele aus den letzten Gesprächen, die Jesus nach dem Johannesevangelium über Tod und die Auferstehung geführt hat.

Wer diesen Weg der vierzig Tage mitgeht, diese Wanderung aus der Wüste in das Land der Verheißung, erlebt eine erfüllte Zeit. Es sind vierzig Tage ohne – ohne all das, was Leib und Seele fett macht; aber mehr noch sind es vierzig Tag mit – mit Jesus, mit Israel, mit Gott, dem Herrn der Zeiten. Die Fastenzeit sind vierzig Tage für die Ewigkeit.
 
Autor: Thomas Söding, Professor für Neutestamentliche Exegese an der Ruhr-Universität Bochum, Kirchenzeitung 6/2018

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