Tage der Karwoche

 
schmuckbild karwoche mit bemalten steinen
 
Die Karwoche - damit sind auch die stillen Tage, Tage der Trauer gemeint. Stiftspropst Monsignore Franz Joseph Baur hat für die Münchner Kirchenzeitung die Bedeutung der einzelnen Kartage erläutert.
 
 
„Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn.“ (Mk 15,39). Mit dem Bekenntnis des römischen Soldaten in der Markuspassion ist das Ganze des christlichen Glaubens an Palmsonntag bereits ausgesprochen worden. Wer zu diesem Glauben kommt, für den wird das Leiden und Sterben Jesu zur Quelle des Heils. Die Hingabe des Lebens dessen, der „für uns“ gestorben ist, gewinnt Bedeutung „für uns“ Gläubige. Es ist eine Gabe an uns, Gabe neuen Lebens, Gabe geistlichen Lebens, Gabe des Geistes, Geschenk der Versöhnung und des Friedens. Das in Ruhe zu bedenken, dazu dienen die Tage der Karwoche.

Wer war dieser Jesus, der da verraten wurde, ausgeliefert wurde, gelitten hat und zu Tode kam? Er war wirklich der verheißene Messias, der Gottes Herrschaft neu zur Geltung bringt. Sein Tod widerlegt das nicht. Im Gegenteil, er bestätigt es, wenn man das, was der Prophet Jesaja geheimnisvoll in vier „Liedern über den leidenden Gottesknecht“ gesagt hat, auf Jesus deutet. Diese vier Lieder sind am Montag, Dienstag, Mittwoch und Karfreitag in der Karwoche die Lesung in den Gottesdiensten. Zwei Verse daraus als Anknüpfungspunkt: „Seht, das ist mein Knecht … Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt.“ (Jes 42,1). „Mein Knecht, der gerechte, macht die vielen gerecht; er lädt ihre Schuld auf sich.“ (Jes 52,11).

„Messias“ bedeutet der „Gesalbte“, der von Gott mit Heiligem Geist Gesalbte. Jesu Sterben, wo er seinen „Geist aufgab“ (Joh 19,30), wird gedeutet als Gabe des Geistes, wie es dann der Auferstandene ausdrücklich sagen wird: „Empfangt den Heiligen Geist“ (Joh 20,22). Diese Gabe wird den Gläubigen durch die Sakramente der Kirche zuteil. Deshalb liegt in der Karwoche, nach römischem Vorbild am Vormittag des Gründonnerstags, in den Bistümern meist an anderen Tagen, in München am Mittwoch, ein ganz besonderer Gottesdienst: die Chrisammesse. In ihr wird der Ursprung der Sakramente aus der österlichen Gabe es Geistes gefeiert.

Bei diesem zentralen Gottesdienst in der Bischofskirche werden die Heiligen Öle geweiht, die dann das ganze Jahr über in den Pfarreien für die Feier der Sakramente verwendet werden. Die Salbung des Messias mit Heiligem Geist wird im Heiligen Öl zur Gabe an die Gläubigen, die damit gesalbt werden. Die eindrückliche liturgische Geste dabei ist eine Anhauchung des Bischofs über dem Öl, wie der Schöpfer Adam angehaucht hat, um ihm Leben zu schenken, und wie der auferstandene Herr die Jünger angehaucht hat, um ihnen den Heiligen Geist zu übergeben. Es ist das Katechumenenöl für die Taufvorbereitung, es ist der Heilige Chrisam, mit dem die Täuflinge, die Firmlinge und die Priester und Bischöfe bei ihrer Weihe gesalbt werden, und es ist das Öl für die Krankensalbung.

Auch das Bußsakrament hat seinen genuinen Platz in der Karwoche. Der Gottesknecht lädt die Schuld der vielen auf sich, für die er sein Leben hingibt. Er nimmt hinweg die Sünde der Welt. Der Geist, mit dem er gesalbt ist und den er gibt, ist der Heilige Geist zur Vergebung der Sünden. Deshalb werden an den Tagen der Karwoche bis zum Karsamstag viele Beichtzeiten angeboten und wahrgenommen.

So ist das Leben der Gläubigen von der Taufe bis zur letzten Ölung und das Leben der Kirche im ganzen Jahreskreis an die Karwoche angebunden, oder vielmehr an Jesus Christus und an die Hingabe seines Lebens am Kreuz.
 

Palmsonntag

 
palmkätzchenstrauß zu palmsonntag
 
Mit dem Palmsonntag beginnt die Heilige Woche. Die Fastenzeit, die Vorbereitungszeit auf Ostern, ist vorbei. Die Kirche tritt ein in die Feier der österlichen Geheimnisse. Ostern ist nicht einfach das Jubelfest der Auferstehung, sondern der ganze Durchgang durch das Ur-Ereignis des Christentums, das Leiden, Sterben und Auferstehen des Herrn Jesus Christus. Wie man seine mobilen Geräte immer wieder mal zur Dockingstation zurück bringt, um den Akku aufzuladen und die Daten zu aktualisieren, so kehrt die Kirche jährlich zu ihrem Ursprung zurück. Sie geht aufs Neue das Geschehen durch, das sie als große Tat Gottes zu glauben gelernt hat. „Das ist der Tag, den der Herr gemacht hat,“ singt sie am Ostersonntag, wenn sie die Heilige Woche ganz durchlaufen hat.

Schon die Eröffnung der Heiligen Woche nimmt daher das Ganze in den Blick. An Palmsonntag wird die Passion gelesen, so wie man ein Bild zuerst als Ganzes auffasst und erkennt, worum es geht, um sich dann in die Betrachtung von Details zu vertiefen. In diesem Jahr ist die Passion nach Markus an der Reihe. Markus führt bis zu dem aufwühlenden Ruf des Gekreuzigten heran: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34). Dieser Schrei reißt einen Abgrund auf: Womöglich wirklich von Gott verlassen? Endgültig? Ist das das letzte Wort? Was für ein Ruf nach Gott! Ob es eine Antwort Gottes gibt, bleibt an Palmsonntag noch offen. Offen auf Ostern hin. In dieser Weise kommt das Ganze vor Augen.

Markus ist auch der Evangelist, der das Bekenntnis des römischen Hauptmanns unterm Kreuz überliefert: „Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn.“ (Mk 15,39). Damit schließt sich auch der Bogen zur Überschrift im ersten Satz des Evangeliums: „Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes.“ In diesem Bekenntnis ist das Ganze des christlichen Glaubens ausgesagt.

Ursprünglich wurde das Osterfest in seiner Ganzheit in einer einzigen großen Feier begangen, in der Osternacht. Aber schon sehr früh legte es sich in Jerusalem nahe, die einzelnen Orte aufzusuchen, wo alles stattgefunden hatte. Und dann wollte man diese Stationen auch an den Tagen und zu den Uhrzeiten begehen, die in der Überlieferung noch greifbar waren. Und weil Jerusalem natürlich der wichtigste Pilgerort war, entfaltete sich in der ganzen Kirche die Feier des Osterfests über die ganze Heilige Woche. Sie beginnt mit dem Einzug Jesu in Jerusalem.

Die Verbindung mit Jerusalem kommt an Palmsonntag dadurch zum Ausdruck, dass die Kollekte zur Unterstützung der christlichen Stätten im Heiligen Land bestimmt ist, und dass in den Fürbitten für die Menschen im Heiligen Land gebetet wird. Davor spielt die Liturgie den Einzug Jesu in Jerusalem mit einer Prozession als Auftakt zum Gottesdienst nach. Je nach den örtlichen Gegebenheiten beginnt die Feier an einem passenden Ort außerhalb der Kirche. Dort wird das Evangelium vom Einzug Jesu nach Jerusalem vorgetragen. Daraus übernimmt die Liturgie für die Prozession zur Kirche und den feierlichen Einzug dort möglichst viele konkrete Elemente: die Palmzweige, die dem Palmsonntag seinen Namen gegeben haben, den Zuruf des Volks „Hosanna“, oft sogar den Esel.

Nach dem Nachspiel der historischen Szene führt die Liturgie mit Passion und Eucharistie hinein in die Karwoche als ganze, die dem Gedenken des Leidens und der Auferstehung Jesu gewidmet ist.
 

Gründonnerstag

 
kelche brot und kreuz inszeniert zum letzten abendmahl
 
Leicht zu überhören, aber wenn man darauf wartet und achtet, und wenn der Zelebrant die Worte durch eine leichte Verzögerung hervorhebt, sehr berührend, gibt es eine Besonderheit in der Heiligen Messe am Abend des Gründonnerstags. Mitten in den vertrauten, rituellen Worten des Hochgebets, „denn am Abend, an dem er ausgeliefert wurde und sich aus freiem Willen dem Leiden unterwarf …“ erfolgt der feierliche Einschub: „ – das ist heute –“.

Ja, mit der Messe vom Letzten Abendmahl beginnt das Nachgehen des Weges Jesu in einem zeitlichen Ablauf ganz nah am historischen Geschehen. Ab jetzt gibt es fast stündlich einen Moment, von dem die Evangelien berichten und bei dem man im Geiste Jesus begleiten kann: das Letzte Abendmahl, das Gebet am Ölberg im Garten Getsemani, die Gefangennahme, der Prozess, die Kreuzigung um die dritte Stunde (Mk 15,25), die Finsternis um die sechste Stunde (Mk 15,33), der Tod Jesu zur neunten Stunde (Mk 15,34), die Grablegung und die Sabbatruhe bis zur Entdeckung des leeren Grabes am Morgen des dritten Tages. Die Liturgie der Kirche geht diese Stationen nach, aber nicht als etwas, was „damals“ geschah, sondern „das ist heute“. Im Durchgehen des Leidensweges Jesu wird das Geschehen vergegenwärtigt. Die Eucharistiefeier ist nie eine quasi-historische Inszenierung des Abendmahlgeschehens (und heißt zu Recht nicht „Abendmahl“, sondern eben „Eucharistiefeier“), sondern Vergegenwärtigung im Jetzt und Heute.

Jede Eucharistiefeier ist Feier von Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu, auch hier umfasst die einzelne Feier wieder den ganzen Durchgang durch das Ostergeschehen. Gestiftet wurde sie von Jesus selbst beim letzten Abendmahl, wo er seinen bevorstehenden Tod als Gabe des Lebens deutete. Er deutete ihn mit den Zeichen des gebrochenen Brotes und des ausgeteilten Weines. Mit dem Auftrag „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ und mit der Kraft des Heiligen Geistes, den der Auferstandene der Kirche gibt, bekommt die Zeichenhandlung von da an die Bedeutung der realen Vergegenwärtigung seines Todes und seiner Auferstehung, und die eucharistischen Gestalten von Brot und Wein sind Leib und Blut Christi.

Der Gründonnerstag begeht die Einsetzung der Eucharistie und, damit untrennbar verknüpft, die Einsetzung des Priestertums. Unvergessen sind die Briefe, die der Heilige Papst Johannes Paul II. regelmäßig zum Gründonnerstag an die Priester schrieb, im Heiligen Jahr 2000 sogar direkt aus dem Abendmahlssaal in Jerusalem. Als mahnende Erinnerung, dass sich das kirchliche Amt als Dienst zu verstehen und zu vollziehen hat, kennt der Gründonnerstag den Ritus der Fußwaschung. Vorbild ist, was Jesus laut Johannesevangelium getan hat. Man kann mit der Auswahl, wer als Repräsentant der zwölf Jünger zur Fußwaschung eingeladen wird, ein Zeichen der Wertschätzung setzen. Aber zuerst ist der Ritus doch eine Erinnerung an den Grundauftrag an die Amtsträger und an alle Christen: Ihr Tun soll ein Dienst der Liebe sein.

Die Messe vom Letzten Abendmahl endet offen, ohne Schlusssegen. Eigentlich endet sie gar nicht, sondern wird – ohne die übliche Anfangsformel „Im Namen des Vaters …“ – fortgesetzt in der Feier des Karfreitags und – wieder ohne Kreuzzeichen am Anfang – mit der Feier der Osternacht. Erst mit dem Segen am Ostertag endet die große Liturgie des „triduum sacrum“.
 

Karfreitag

 
Holzkreuz mit gekreuzigtem Jesus Christus
 
Das am stärksten sprechende Zeichen in der Feier vom Leiden und Sterben unseres Herrn Jesus Christus am Karfreitag ist wohl das innige Schweigen zu Beginn der Liturgie. Der Zelebrant liegt ausgestreckt am Boden, alle knien, und es herrscht tiefe Stille, wenn um drei Uhr nachmittags der Todesstunde Christi gedacht wird.

Auch kein Stundenschlag der Glocken ertönt, denn nach dem Gloria der Messe am Gründonnerstag verstummen die Glocken, wie auch die Orgel und die sonstige Instrumentalmusik in der Kirche. Von diesem intensiven Moment aus erstreckt sich die Stille auf den ganzen Tag. Sehr zu hoffen ist, dass der staatliche Schutz des Karfreitags als „stiller Feiertag“ noch lang erhalten bleibt, und dass die Christen selbst dem hohen Anspruch dieses Tages gewachsen bleiben und ihn auch persönlich mit allen möglichen Formen der Zurückhaltung begehen, bis hin zu einem großherzig auf sich genommenen strengen Fasten.

Das Schweigen vom Beginn des Gottesdienstes wiederholt sich, wenn im Wortgottesdienst die Lesung der Passion (am Karfreitag immer nach Johannes) bis zum Tod Jesu gelangt ist: „Und er neigte das Haupt und gab seinen Geist auf.“ Alle knien zu einer kurzen Gebetsstille nieder. Als weiteres Echo dieses Moments lässt sich begreifen, wenn in den Fürbitten nach der Ansage, für wen jeweils gebetet wird, dazu eingeladen wird, niederzuknien und in Stille zu beten. Zehn feierliche große Fürbitten sind am Karfreitag vorgesehen, in denen in immer weiteren Kreisen für den Papst, für die Kirche in all ihren Gliedern, für die Nichtchristen, für die Nichtgläubigen und für alle Menschen in allen möglichen Notlagen gebetet wird. Denn das Kreuz Christi ist der große Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte, woran alles Böse seine Schreckenskraft verliert und von wo aus sich alles zum Guten wendet.

Das Kreuz, das angeschaut und verehrt wird, steht im Mittelpunkt des zweiten Teils der Liturgie an Karfreitag: „Seht das Kreuz, an dem der Herr gehangen, das Heil der Welt. Kommt, lasset uns anbeten.“ Mit diesem Ruf wird ein Kreuz auf drei Mal enthüllt und gezeigt. Danach ist Zeit für die Verehrung, die sehr persönlich und intim geschehen darf, mit einer Kniebeuge, einer Berührung oder sogar mit einem Kuss auf das Kreuz. Es ist ergreifend, zu erleben, mit welcher Ruhe und Innigkeit, und mit wie viel feinfühliger Rücksicht aufeinander die vielen Gläubigen das tun.

Dabei wird es erneut Momente der Stille geben. Denn der Chor muss ja auch durchschnaufen, während er die Kreuzverehrung begleitet. Der klassische Gesang zur Kreuzverehrung sind die „Improperien“, vom lateinischen „probrum“, Vorwurf. Der Heiland fragt klagend sein Volk: „Was tat ich dir?“ Ein sehr alter Text, der den kleinen Details aus der Passionsgeschichte die großen Themen des Alten Testaments gegenüberstellt, was Gott dem Volk alles Gutes getan hat. Zum Beispiel: „Was hätte ich dir mehr tun sollen und tat es nicht? Als meinen erlesenen Weinberg pflanzte ich dich, du aber hast mich in meinem Durst mit Essig getränkt.“ Zu den Improperien tritt, je nach den Möglichkeiten der Kirchenmusik vor Ort, A-capella-Gesang aus dem immensen Schatz der Passionsmusik. Schier unerschöpflich, was unsere Kultur da hervorgebracht hat. Die Liturgie in der Kirche beinhaltet noch die Kommunion und endet wieder in Stille.
 

Karsamstag

 
Heiliges Grab von St. Laurentius, Tittmoning
 
Keineswegs ist der Karsamstag ein Tag ohne Liturgie. Zwar darf an diesem Tag keine Eucharistie gefeiert werden, etwa auch kein Requiem. Die Kommunion wird nur in Todesgefahr gespendet. Aber der Karsamstag ist ein Tag mit ganz eigenem theologischen und geistlichem Gehalt.

Es ist der Tag der Grabesruhe Jesu. Das ist kein erholsames Ausruhen, aber auch keine Trauer im gewohnten Sinn, wo man sich mit einem Verlust oder einer Niederlage abzufinden hat. Es ist die Spannung, mit anzusehen, in welchen Abgrund des Todes Gott hinabgestiegen ist, und gleichzeitig nichts machen zu können, nicht vorgreifen zu können, ausharren zu müssen, einfach warten zu müssen auf das, was Gott tut. Die Spannung will ausgehalten werden, und sie wird umso spürbarer, je ernsthafter man die Empfehlung befolgt, den Karsamstag als stillen Tag und auch noch einmal als Fasttag einzuhalten.

Vielerorts gibt es „Heilige Gräber“, Szenen mit gedämpftem Licht, einer angedeuteten Grabhöhle und der Figur des Leichnams Christi in der Obhut von Engeln – ein dreidimensionales Schaubild in barocker Tradition, das dazu hilft, sich mit Gemüt und Verstand in den Karsamstag einzufinden. Ein geistliches Tun, das einen in die rechte innere Haltung versetzt, in der sich erschließt, wie gerade der Karsamstag heilsbedeutsam ist.

Die eigentliche Liturgie der Kirche am Karsamstag ist das Stundengebet. In großen Kirchen werden die Gebete, zu denen die Kleriker und Ordensleute verpflichtet sind, die viele Christen aber auch für sich entdeckt haben, an Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag in größerer Gemeinschaft öffentlich gefeiert, als „Trauermetten“. Das sind, gesungen oder gebetet, die Psalmen der Matutin (daher: „Mette“) und der Laudes, Lesungen aus der Bibel und aus den Schriften der Kirchenväter, in Form gebracht durch Antiphonen, Responsorien und andere kleine textliche Elemente. Darin tauchen wie kleine Schlaglichter einzelne Worte und Verse auf, die ein deutendes Licht auf die geistliche Situation des Karsamstags werfen.

Man darf sie hören als etwas, was Jesus in der Situation sprechen würde oder ein teilnehmender Jünger, was ein selbst betroffener, vielleicht von ganz anderen Nöten betroffener Mensch sprechen könnte, oder ein ganzes Volk, oder was Gott sprechen könnte: bei aller gebundenen Form ein freies Spiel deutender Assoziationen. So stößt man in der Lesehore des Karsamstags beispielsweise auf den Vers: „Du gibst mich nicht der Unterwelt preis, du lässt deinen Frommen das Grab nicht schauen.“ (Ps 16,10). Die Psalmen hat Jesus gebetet, gewiss auch diesen Vers. Was heißt das jetzt? Jetzt, wo er doch im Grab liegt?

So lässt die betende Gemeinde die Spannung des Karsamstags an sich heran und bereitet sich zugleich auf den Osterglauben an die Auferstehung vor. Denn es gilt, was für jede einzelne Station der liturgischen Feiern der Kar- und Ostertag gilt: Jeder einzelne Moment ist ein Durchlaufen des gesamten Weges Jesu in Leiden, Tod und Auferstehung. Das Ganze ist durch vielerlei Bezüge präsent. Aber eben am Karsamstag auf eine Weise, die hoffentlich nicht durch allerlei praktisches Werkeln und Vorbereiten des Ostersonntags überdeckt wird, als ohnmächtiges Ausharren und hoffendes, vertrauensvolles Warten auf Gott.
 

Heilige Gräber

Einen virtuellen Rundgang, der mit Bildern und einer interaktiven Karte zu den Heiligen Gräbern in Kirchen des Erzbistums München und Freising führt, finden Sie hier unter www.heilige-graeber.de