Standortbestimmung

"Dem Glauben Zukunft geben" - Perspektiven für den Pastoral- und Strukturplan 2020
von Erzbischof Dr. Reinhard Marx

(Auszug aus dem Gesamttext)

Wo in unserer Gesellschaft mit ihrem Wirrwarr von Tendenzen – Subjektivität, Differenzierung, Vernetzung, Globalisierung – situiert sich die Kirche? Wo kann sie sich ihren Platz erobern, wenn sie überhaupt als Kirche in dieser Gesellschaft einen sichtbaren Platz haben möchte? Dass die Kirche das will, davon gehe ich aus. Es ist ja bemerkenswert: Das Thema Religion hatten die Soziologen der 70er Jahre nach der 68er-Bewegung eigentlich abgeschrieben, gemäß der alten Säkularisierungsthese, dass eine moderne, sich wirtschaftlich und freiheitlich entwickelnde Gesellschaft immer weniger religiös sein werde.

Diese These hat sich nicht bestätigt. Das Thema Religion ist wieder da, auch in der gesellschaftlichen Diskussion und in der Wissenschaft. An vielen Soziologie-Fachbereichen wurde die Religionssoziologie abgeschafft und in den 90er Jahren wieder eingeführt, womit Religion wieder neu auch zum soziologischen Thema wurde. Das Phänomen Religion ist nicht erledigt. Es besteht kein Anlass, einen Abgesang auf die Religion anzustimmen, allerdings ist das Verständnis dessen, was Religion bedeutet, vielfältiger und diffuser geworden.

Um einen neuen Aufbruch in der modernen Gesellschaft zu ermöglichen, muss das Selbstbewusstsein der Christen, also auch ihre Identität, wieder stärker werden und sich lösen vom Blick auf die Zahlen. Dr. Renate Köcher vom Institut für Demoskopie Allensbach drückt dies so aus: „Die Vitalität und Strahlkraft einer religiösen Gemeinschaft ist jedoch keine Frage von Mehrheiten, sondern von sichtbar gelebtem Glauben und dem Selbstvertrauen, mit diesen Überzeugungen sich und andere zu bereichern, Vorhut und nicht Nachhut der Gesellschaft zu sein“.

Das genau halte ich für eine scharfe und scharfsinnige Analyse, die uns zu denken geben muss. Haben wir anderen etwas zu sagen und mitzuteilen? Empfinden wir uns als Nachhut eines gesellschaftlichen Prozesses, als eine Gruppe, die von den anderen noch lernen muss, was sie eigentlich tun sollte oder sind wir der Überzeugung, dass die anderen auch von uns etwas lernen können? Wir sind doch überzeugt, dass wir eine Botschaft haben, die jeden Menschen bereichert! Wenn das nicht der Fall ist, ist jede Strukturdiskussion überflüssig. Wir müssen uns wieder selbst in die Pflicht nehmen und klar sagen, was wir der Welt verkünden wollen, was wir den Menschen geben wollen, wie unser Angebot aussieht. Wir müssen wieder mit Überzeugung sagen, dass die Menschen im Glauben an Christus die Fülle des Lebens finden.

Schriften, auf die in "Dem Glauben Zukunft geben -  Perspektiven für den Pastoral- und Strukturplan 2020" Bezug genommen wird:
Arbeitshilfe 216: "Mehr als Strukturen...Neuorientierung der Pastoral in den (Erz-)Diözesen. Ein Überblick"
(hrsg. am 12.4.2007 vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz)
DBK-Arbeitshilfe Nr. 216 (PDF)
Arbeitshilfe 213: "Mehr als Strukturen...Entwicklungen und Perspektiven der pastoralen Neuordnungen in den Diözesen" (hrsg. am 12.4.2007 vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz)
DBK-Arbeitshilfe Nr. 213 (PDF)
Schrift Nr. 75: "Katechese in veränderter Zeit" (hrsg. am 22.6.2004 vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz)
DBK-Schrift Nr. 75 (PDF)