Bäuerliche Familienberatung im Wandel der Zeit Der gesellschaftliche Druck wächst

Vor 25 Jahren wurde die bäuerliche Familienberatung des Erzbistums gegründet. Mitte Oktober 2021 sind in Feldkirchen-Westerham die neuen Beratungsräume feierlich eröffnet worden. Die Probleme und Herausforderungen der Landwirte bleiben und spiegeln gesellschaftliche Veränderungen wider.
 
Eröffnung der Bäuerlichen Familienberatung in Feldkirchen-Westerham
Feierliche Eröffnung der neuen Räumlichkeiten der Bäuerlichen Familienberatungsstelle in Feldkirchen-Westerham
Bereits seit dem 1. April 2021 befindet sich die Bäuerliche Familienberatung der Erzdiözese München und Freising am neuen Dienstsitz in Feldkirchen-Westerham (Landkreis Rosenheim). Am 19. Oktober übergab Peter Bartlechner, der Leiter der Beratungsstelle, die Räumlichkeiten im Rahmen einer Eröffnungsfeier mit Segnung offiziell ihrer Bestimmung. Die Segnung nahm Diakon Andreas Klein, der frühere Leiter der Dienststelle, vor.

Die bisherige Beratungsstelle war im Landkreis Mühldorf am Inn angesiedelt. Das neue Büro im Pfarrhof von St. Laurentius liegt auf der Strecke zwischen München und Rosenheim sehr zentral im Erzbistum und ist gut erreichbar. Wer sich beraten lassen möchte, dem sichert Bartlechner absolute Vertraulichkeit zu. Für den Zutritt zur Beratungsstelle gibt es eine eigene Eingangstür.

Im Büro der nicht mehr ganz so neuen, nun offiziell eröffneten Beratungsstelle gehen pro Woche durchschnittlich fünf Beratungsanfragen aus dem Umfeld der Landwirtschaft ein. „In vielen Fällen ist die Situation festgefahren und stark eskaliert“, hat Bartlechner festgestellt. „Aber schon ein Gespräch verschafft Erleichterung und bringt die Dinge in Bewegung“, so der Leiter weiter. Bei verschiedenen Treffen – auch vor Ort und wenn möglich unter Einbeziehung aller am Konflikt Beteiligten – versucht er, die Lage schrittweise zu deeskalieren. Im Weiteren wird angestrebt, gemeinsam tragfähige Lösungen zu erarbeiten.
 
Insgesamt 15 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterstützen den Leiter der Beratungsstelle bei Bedarf bei den Beratungen. Es sind Frauen und Männer unterschiedlichen Alters, die selbst aus der Landwirtschaft kommen oder einen Beruf haben, der damit in Verbindung steht. Alle haben eine zweijährige Zusatzausbildung durchlaufen und sich für den Beratungsdienst qualifiziert. „Sie wissen, dass es wichtig ist, bei den Ratsuchenden zunächst eine Basis des Vertrauens zu schaffen, damit dann der Boden bereitet werden kann für einen gelingenden Neuanfang“, erläutert Bartlechner.

Aufhören oder weitermachen?

Im vergangenen Vierteljahrhundert hat sich für die bayerischen Bauern viel verändert: Die Zahl der Höfe sank kontinuierlich, der Preisdruck etwa durch den Unterbietungswettbewerb der Discounter stieg. Ökolandbau nimmt nicht nur zu, sondern wird zunehmend politisch eingefordert, was für konventionelle Landwirte in der Öffentlichkeit einen erheblichen Ansehensverlust bedeutet.

Das bekam auch Andreas Klein zu spüren. Der Diakon und studierte Theologe, der selbst vom Hof kommt, hatte vor 25 Jahren die Bäuerliche Familienberatung des Erzbistums München und Freising aufgebaut und  seitdem die Landwirte zusammen mit einem Dutzend Ehrenamtlichen durch wechselvolle Zeiten begleitet. „Der politische und gesellschaftliche Druck hat zugenommen, das setzt den Landwirten zu“, sagt er.

Ganz schlimm sei es zur Zeit des Volksbegehrens für mehr Artenvielfalt gewesen: „Die Bauern fühlten sich an den Pranger gestellt.“ Doch auch durch die Düngeverordnung sahen sie sich als Umweltverpester hingestellt – davon zeugten zuletzt Traktordemonstrationen in größeren Städten oder grüne Holzkreuze auf Feldern.

Klein hatte sogar zwei, drei Fälle, bei denen Jungbauern wegen des negativen Bildes in der Öffentlichkeit überlegten, ob sie überhaupt weitermachen sollen mit dem Hof. „Was die Bauern besonders schmerzt ist, wenn unqualifizierte Aussagen einfach übernommen werden“, sagt Klein. „Sie merken aber auch, dass sich die Einstellung der Leute ihnen gegenüber ändert, wenn sie mit ihnen das Gespräch suchen.“ Und dies sei gerade bei jüngeren Landwirten häufiger der Fall als früher.
Den Hof weiterführen oder – zumindest teilweise – aufgeben: Das ist ein Thema, das die Landwirte, die Klein aufsuchten, verstärkt beschäftigte und weiter beschäftigt. „Wenn es mal nicht so gut lief, hat man vor 15 Jahren gesagt, das ist eine Krise, da müssen wir durch“, erklärt Klein. Heute sei es anders. Als Grund führt er instabilere Rahmenbedingungen an: „Die Preise wie im Fall von Milch und Schweinefleisch schwanken stärker als früher, das Hin und Her geht auf die Psyche.“ Dazu hätten die Landwirte früher mehr Rücklagen gehabt, etwa durch Waldbesitz. „Der Wald war die Spardose.“ Heute hat das Holz an Wert verloren, da der Markt wegen Sturmschäden und Käferbefall überschwemmt wurde damit. Und dazu komme eben die sinkende Anerkennung von Landwirten.
 
Familie bei Kirschernte
Viele Konflikte sind zwischenmenschlicher Natur. Oft stößt die Bäuerliche Familienberatung Versöhnungsprozesse an.
Häufig wird die Überlegung, ob der Hof weitergeführt werden soll, durch einen Todes- oder Krankheitsfall ausgelöst. Und auch hier hat sich etwas im Laufe der Jahre verändert: Die Menschen sprechen offener Krankheiten an, körperliche Überforderung und Depressionen bis hin zu Lebenskrisen, stellte Klein fest. Erschreckend viele jüngere Landwirte litten an Burnout oder entsprechenden Symptomen. Doch nicht nur sie überdenken ihre Lebensweise: „Auch Menschen ab 50 reflektieren, wie ihre zweite Lebenshälfte auf dem Hof aussehen soll.“ Dies gelte vor allem für Frauen, so Klein. „Wenn die Kinder aus dem Haus sind, beginnen sie sich zu fragen, ob sie sich nicht auch mal eine Auszeit nehmen dürfen oder ein Hobby verfolgen sollen.“ Da für die Männer oft nach wie vor die Arbeit und der Hof an vorderster Stelle stünden, entwickelten sich Konflikte.

Häufigste Beratungsanlässe sind zwischenmenschlicher Natur

Hier zeigt sich eine Konstante: Heute wie früher sind die häufigsten Probleme, wegen denen Bäuerinnen und Bauern die Beratungsstelle aufsuchen, zwischenmenschlicher Natur, sei es, dass es in der Ehe kriselt oder aber zwischen den Generationen. „Wenn es zur Hofübergabe kommt, tut sich der Altbauer oft schwer loszulassen“, sagt Klein. Der Jungbauer will sich aber nicht immer reinreden lassen – oder er lässt es zu und leidet unter der fehlenden Abnabelung, die auch seine Ehefrau auf Dauer nicht erträgt.

Auch hier kann das Thema Öko-Landbau eine Rolle spielen: „Wenn der Jungbauer darauf umstellen will, kommt es vor, dass es der Altbauer als Entwertung der eigenen Arbeit wahrnimmt“, sagt Klein. Oder es ist so, dass jener insgeheim selbst immer was Neues machen wollte, sich aber nie traute. Nun verspürt er Neid.

Bäuerliche Familienberatung begleitet oft Versöhnungsprozesse

Portrait Diakon Andreas Klein, 2021
Diakon Andreas Klein
Die Konflikte sind vielschichtig, zwischenmenschliche und betriebliche Probleme greifen häufig ineinander über. Entsprechend hatten Klein und seine Helferinnen und Helfer selten eine konkrete Lösung parat. Vielmehr stießen sie bei den Betroffenen einen begleiteten Versöhnungsprozess an, in dessen Verlauf jene selbst herausfinden mussten, was sie sich gegenseitig zugestehen können und wollen. Die Voraussetzung ist die ehrliche Bereitschaft dazu, sich gegenseitig zu verzeihen, damit das weitere Zusammenleben nicht von früheren Verletzungen und Vorwürfen überlagert wird.

„Nicht allen gefällt das Vorgehen“, sagt Klein. Manch‘ Altbauer erwarte, dass er den Jungen zeige, „wo der Bartl den Most holt“. Es komme allerdings auch vor, dass sich Ratsuchende, die zunächst enttäuscht waren, nach Monaten wieder melden, weil sie dann bereit sind, sich auf den Prozess einzulassen. Und: Gerade jüngere Bauern gingen heute offener damit um, dass sie Beratung einholen, und empfehlen sie weiter an Bekannte.

Freilich gibt es auch konkrete Beratungssituationen, etwa bei rein finanziellen Fragen, wenn es um Betriebsumstellungen geht oder darum, was bei Hofübergaben zu beachten ist – letzteres ist ebenfalls ein Thema, bei dem zunehmend Begleitung gewünscht wird.

Personeller Wechsel bringt neue Chancen

Portrait Peter Bartlechner 2021
Peter Bartlechner
Die Beratungsstelle steht zum 25-Jahre-Jubiläum selbst vor einem Umbruch: Diakon Klein ist im April 2021 in den Ruhestand getreten, abgelöst wurde er von Peter Bartlechner, der bislang Präventionsbeauftragter im Bistum und zudem bei der „Insel“, einer Beratungsstelle in München, tätig war.

„Der Weggang von Andreas Klein ist ein Verlust“, sagt Monsignore Siegfried Kneißl, Leiter der Hauptabteilung Beratung im Erzbistum. Gleichzeitig sieht er in dem Stellenwechsel „eine Chance, neue Wege einzuschlagen und auf die vielfältigen Strömungen und Herausforderungen in der Landwirtschaft wie Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Tierschutz neu zu reagieren“.
Text: Sandra Tjong, freie Redakteurin, April 2021 und Lisa Schmaus, Online-Redaktion, Oktober 2021

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