Über Höhen und Tiefen: Der Weg zu sich und zum Dasein Bergexerzitien sprechen nicht nur gläubige Menschen an

Wer die Natur liebt und Abstand vom Alltag sucht, ist in den Bergen gut aufgehoben. Der Weg muss dabei nicht allein beschritten werden. In der Erzdiözese gibt es die Möglichkeit, an Bergexerzitien teilzunehmen. Willkommen sind alle, und außer um Glaube und Spiritualität geht es dort auch um den gemeinschaftlichen Austausch.
Bergexerzitien
In den Bergen fühlt man sich dem Grund unseres Daseins, Gott, näher als woanders. Daher sind sie für Exerzitien besonders gut geeignet. Foto: Unsplash (Patrick Federi)
Absolute Stille gibt es nur noch selten. Eine der wenigen Ausnahmen sind die Berge – abseits der beliebtesten Wege und Gipfel. Durch massiven Fels vom Lärm aus dem Tal abgeschirmt, lassen sich hier scheinbar zeitlose Momente erleben, in denen die Stille höchstens durch Vogelschreie oder Geröll, das Gämsen losgetreten haben, Risse bekommt. Kein Wunder also, dass Menschen die Berge nicht nur aus sportlichen Gründen aufsuchen oder weil Aussicht, Almwiesen und Gipfelbrotzeit so schön sind. Sie kommen auch, um Abstand vom Alltag zu gewinnen, Kontakt zu sich selbst aufzunehmen und dem Sinn des Daseins nachzuspüren.

„In den Bergen fühlen sie sich dem Grund unseres Daseins, Gott, näher als woanders“, sagt Helmut Betz, Pastoralreferent in der Erzdiözese München. Für ihn sind die Berge deshalb besonders geeignet für Exerzitien. Er war es auch, der vor nahezu 20 Jahren angefangen hat, Bergexerzitien im Rahmen seiner seelsorgerischen Tätigkeit in der Sportpastoral des Erzbistums anzubieten.
 
Die Idee dazu kam von seinem Augsburger Kollegen, dem Pastoralreferenten und Theologen Knut Waldau, der ihn fragte, ob sie nicht gemeinsam Bergexerzitien angehen wollten, „weil wir uns beide in den Bergen daheim fühlen“, wie Betz erzählt. Die erste Tour führte sie 2001 ins Karwendel, über die Neue Magdeburger Hütte und die Pfeishütte auf die Halleranger Alm, wegen eines Kaltlufteinbruchs teils durch 30 bis 40 Zentimeter Schnee. 

Seitdem gibt es das gemeinsame Angebot der beiden Diözesen unter bergexerzitien.de. Über die Jahre wuchs es auf eine stattliche Anzahl an – rund 20 Veranstaltungen pro Bistum sind es inzwischen, inklusive einer Ausbildung zu Begleitern. Durch die Corona-Krise musste ein wenig umdisponiert werden, auf Münchner Seite kam es aber zu keinen Absagen. Kommendes Jahr will die Diözese das Angebot sogar nach Möglichkeit noch erweitern.
 

"Die Bergwelt ist eine Metapher fürs Leben"

 
Bergexerzitien
In der Bergwelt sind auf Übergängen Ausblicke genauso möglich wie Rückblicke. Die Berge geben Menschen eine Ahnung davon, dass „etwas Größeres“ existiert. (Foto: pixabay)
Von Beginn an war die Nachfrage gewaltig. Was macht die Anziehung von Bergexerzitien aus? Ein Element sei es, das Leben zu reflektieren, sagt Helmut Betz, der zusammen mit Knut Waldau auch ein Buch über Bergexerzitien verfasst hat. Passt alles oder lebe ich in einer Scheinwelt, wo stehe ich, wo will ich hin? „Die Bergwelt ist eine Metapher fürs Leben“, sagt Betz. „Es gibt lange Wege, mühsame wie auch leichte Aufstiege, Wälder, die bergend oder unheimlich sind, Gipfelerlebnisse und das Bewusstsein, wieder absteigen zu müssen.“ Auf Übergängen seien Ausblicke genauso wie Rückblicke möglich. „Berge bringen Themen ans Licht, die uns - vielleicht auch unbewusst - gerade bewegen.“ 

Dazu gebe die Bergwelt Menschen eine Ahnung davon, dass „etwas Größeres“ existiert. „Als gläubiger Christ interpretiere ich das Leben so, dass es Gott gibt und ich unter seiner Führung stehe. Auch wenn ich das Gefühl der Gottesferne habe, ist er überall. In den Exerzitien lässt sich das Bewusstsein der Gegenwart Gottes einüben und erfahren.“ Dabei stehen die Bergexerzitien keineswegs nur gläubigen Menschen offen. Willkommen sind alle! Entsprechend breit ist auch das Spektrum: von Jung bis Alt – wobei die Mehrzahl der Teilnehmer um die 40, 50 Jahre alt ist. Es kommen konfessionslose Menschen, die davon erfahren haben und einfach neugierig sind, genauso wie solche, die im Umbruch stehen oder die einen Sinn oder direkt Gott suchen.

Das Einzugsgebiet beschränkt sich nicht nur auf München und Umgebung: Teilnehmer kommen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, inklusive Südtirol und der deutschsprachigen Schweiz, wie Hans Maier erzählt. Der Pastoralreferent arbeitet in der Abteilung Spiritualität, in die die Bergexerzitien 2016 übergegangen sind. Seitdem stehen sie unter seiner Verantwortung.
 

In der Stille bekommen Lebensfragen Raum

„Berge öffnen in besonderer Weise unser Herz“, ist seine Erfahrung. „Wenn man in die Bergwelt geht, gerät man leicht ins Staunen und lässt sich berühren von der Größe und Schönheit der Berge. Dadurch kommt man leichter in Beziehung zu sich und seinem Glauben.“ Eine wesentliche Rolle spiele auch das Gehen. „Es bewegt etwas in uns. Auch unser Denken wird angeregt.“ Dazu der Perspektivwechsel: Vom Gipfel aus gesehen werde die Welt unten klein. „In der Stille bekommen Lebensfragen Raum, um bearbeitet zu werden.“

Bergexerzitien können in Form einer Hüttenwanderung vollzogen werden. Es können aber auch eine Hütte oder ein Berghof als Basis dienen, von wo aus Tageswanderungen unternommen werden. Aufgabe der Begleiter ist es, Impulse zu setzen. Der Tag beginnt mit einem Morgenlob, einer Achtsamkeitsübung, einem Lied, Text oder Gebet. „Es geht um eine Anregung, die sich wie ein roter Faden durch den Tag zieht und bei den Menschen mitschwingen kann“, sagt Maier. Sie sei bewusst offen formuliert, damit die persönlichen Themen der Teilnehmer Platz finden. Jüngst wählte er zum Beispiel ein Zitat aus dem Markus-Evangelium: „Kommt mit, an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus.“

Tagsüber gibt es einen weiteren Impuls, zudem können sich Gespräche mit den einzelnen Teilnehmern ergeben. Vor dem Abendessen folgt eine Austauschrunde. „Es werden Erfahrungen geteilt, das Leben und der Glaube“, sagt Maier. Man wachse ein Stück als Gemeinschaft zusammen – auch sie ist ein wesentlicher Teil der Bergexerzitien. „Sie ist eine Kraft, weil man sich beim Unterwegssein gegenseitig unterstützt.“ Man lerne viel über sich, sagt Helmut Betz, auch als Begleiter: „In schwierigen Situationen die nötige Konzentration und Überwindung aufzubringen, Schritt für Schritt zu gehen, darauf zu vertrauen, dass alles gut ausgeht.“
Bergexerzitien
Bei den Bergexerzitien wächst man ein Stück als Gemeinschaft zusammen. Sie ist eine Kraft, weil man sich beim Unterwegssein gegenseitig unterstützt. Foto: imago images (Action Pictures)

Viele Teilnehmer sind auch im nächsten Jahr dabei

Die Touren können bergsteigerisch durchaus anspruchsvoll sein, die Begleiter haben die Verantwortung für die Sicherheit der Gruppe. Mindestens einer oder eine ist deshalb DAV-Wanderleiter*in – Maier selbst ist einer, Betz sogar DAV-Fachübungsleiter. Wenn auch äußerst selten, kann es passieren, dass sich Teilnehmer überschätzen. Bei Maier war dies einmal auf dem Berliner Höhenweg in den Zillertaler Alpen der Fall. Damals gab er den beiden Betroffenen einen Tag Zeit, für sich selbst zu entscheiden, ob sie weitergehen wollen – und beide entschieden sich fürs Abbrechen. Die Gruppe begleitete die beiden Männer noch ein Stück ins Tal und verabschiedete sie mit einer kleinen „Trauerfeier“. Was Maier freute: Einer der Männer blieb im Tal und beteiligte sich am Abschiedsgottesdienst, der am Ende jeder Bergexerzitien steht.

Der Austausch unter den Teilnehmern oder auch zu den Begleitern kann über die Exerzitien hinaus anhalten. Er selbst forciere nichts und halte nur auf ausdrücklichen Wunsch der Teilnehmer Kontakt, sagt Maier. Vereinzelt komme dies vor. Was Maier und Betz dagegen häufiger erleben, ist, dass Teilnehmer im nächsten Jahr wieder dabei sind und man sich so über die Zeit gut kennengelernt hat.

* Literatur: Helmut Betz und Knut Waldau haben ein Buch über Bergexerzitien geschrieben: „Berge sind stille Meister“, erschienen im Kösel-Verlag.

Text: Sandra Tjong

Berge als Raum für die innere Einkehr Videovorstellung der Bergexerzitien im Erzbistum München und Freising

 

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