„Alte Wege führen in neue Horizonte, wenn wir Mut haben“

Kardinal Marx würdigt Abtei Sankt Bonifaz als Beispiel gelungener Renaissance des Christentums
München, 21. November 2025. Kardinal Reinhard Marx hat die Benediktinerabtei Sankt Bonifaz in der Münchner Maxvorstadt als Beispiel gelungener Renaissance des Christentums in der Moderne gewürdigt. Beim Festgottesdienst zum 175-jährigen Bestehen der Abtei sprach der Erzbischof von München und Freising in seiner Predigt über das Spannungsfeld von Tradition und Erneuerung.
 
Marx erinnerte an das 2. Vatikanische Konzil (1962-1965), dessen Rezeption von Anfang an zwiespältig gewesen sei: „Die einen haben auf den Buchstaben geschaut, die anderen auf den Geist des Konzils, die einen haben die Texte eng interpretiert, die anderen haben sie weiter interpretiert, als einen Anstoß weiterzudenken.“ Der Kardinal zitierte den Konzilstheologen Karl Rahner, der im Münchner Herkulessaal gesagt hatte, „das Konzil ist der Beginn eines Beginns“, und führte aus, dass das bis heute gelte und der Prozess nicht zu Ende sei.
 
„Wir sind in der Herausforderung einer Renaissance des Christentums aus den Quellen“, so Marx. Er nahm Bezug auf die Sonderausstellung „Göttlich!“, in der das Diözesanmuseum Freising aktuell Meisterwerke der Renaissance zeigt. Ein großer Teil der ausgestellten Kunstwerke seien Gemälde der Gottesmutter mit dem Kind. „Das Kind, die Menschwerdung Gottes, immer wieder neu dargestellt“, da ahne man „etwas von dem, was Renaissance, Wiedergeburt bedeutet“, ist der Erzbischof von München und Freising überzeugt: Weder „mal ganz neu denken, ein weißes Blatt nehmen und sich eine Kirche erfinden, die es gar nicht gibt“, noch „die Angst, alles zu bewahren und im Grunde genommen, nicht den Mut zu haben, weiterzugehen, sich in den Schätzen auch das herauszuholen, was zukunftsfähig ist“.
 
Marx erzählte, dass er als Unterprimaner (entspricht einem Zwölftklässler) dem Journalisten Reinhard Raffalt, der für den Bayerischen Rundfunk aus Rom berichtete, geschrieben habe. Als der Brief Jahrzehnte später wieder auftauchte, habe er ihn erneut gelesen. „Das eigentliche Problem sind die Konservativen“, zitierte Marx sein jugendliches Ich aus dem Gedächtnis und führte aus: „Die Konservativen in dem Sinne, weil sie nicht die Kraft finden, aus der Tradition einen neuen Schritt zu wagen in die nächste Epoche. Mit der Tradition. Nicht die Quellen versiegen zu lassen, nicht die Wurzeln abzuschneiden und zu sagen: ‚Was soll die Vergangenheit? Die war schlecht.‘ Sondern: ‚Wie können wir weitergehen?‘ Aber mit Mut, mit Courage. Das fehlt.“ Heute würde er das noch genauso formulieren, kommentierte der Kardinal, allerdings „nicht in dem klassischen Adjektiv konservativ, progressiv, das sagt mir nicht viel, aber in der Haltung“. Die alten Wege führten „in neue Horizonte, wenn wir Mut haben, wenn wir weitergehen“. In der Polarisierung hingegen könne kein Funken schlagen für das Neue.
 
Auch zur Zeit der Gründung der Abtei Sankt Bonifaz habe es ähnliche Auseinandersetzungen in Kultur und Gesellschaft gegeben. König Ludwig I. von Bayern habe mit der Stiftung der Abtei eine Renaissance ermöglicht, die „Wissenschaft, Kunst und Religion wieder zusammendenken kann, aber nicht einfach restaurativ, nicht einfach, indem man alles wiederholt, was Jahrhunderte da war, sondern etwas Neues schafft“. In Sankt Bonifaz sei nicht der Kampf gegen die Moderne geführt, sondern der Versuch gemacht worden, die modernen „Gedanken aufzunehmen, pastoral zu denken“, würdigte Marx. „Es war der Versuch, diese Neuzeit neu einzufassen in einen christlichen Horizont.“ Sankt Bonifaz sei „ein Statement“, so der Kardinal: „Es geht.“ Marx dankte den Benediktinern für ihren Dienst, der auch geistige Frucht trage und forderte dazu auf: „Bitten wir den Herrn, dass er uns aufmerksam macht, wo die Stunde der Renaissance und der Wiedergeburt angebrochen ist.“ (glx)