Der Knoten im Keller – Aufräumen und loslassen Beim Blick auf aussortierte Dinge stellt sich die Frage, wie viel wir wirklich zum Leben brauchen

Seit 20 Jahren ruft uns der evangelische Pfarrer Werner „Tiki“ Küstenmacher auf: "Simplify your life!  Mach dein Leben einfacher.  Die Japanerin Marie Kondo wurde mit Aufräum-Tipps zum Internet-Star. Ein Kirchenlied verheißt sogar: Selig seid ihr, wenn ihr einfach lebt. Auch unser Autor fühlt sich herausgefordert.
Frau vor Kleiderschrank hält sich testend Bluse vor den Körper
Behalten, verschenken, entsorgen? Wer dafür sorgt, dass sich daheim nicht zu viel ansammelt, sorgt für mehr Ordnung in Haus und Seele – und geht einen kleinen Schritt hin zu einer besseren Welt.
Es gibt einen Raum in unserem Haus, der mich regelmäßig unruhig macht. Denn in unserem Keller stoße ich immer wieder ganz konkret darauf, dass mit dem Konsumverhalten meiner Familie irgendetwas nicht stimmt.
 
Wie von Zauberhand füllt er sich immer wieder neu mit allem möglichen Zeug, das die Kinder, meine Frau oder ich aussortiert haben. Da gibt es alte Sessel und Regale, Bretter, Kartons voller Spielsachen, ausrangierte Computertechnik, Kabel, leere Flaschen, Verpackungen von Haushaltsgeräten und und und … Alles Mögliche eben, das wir eigentlich nicht mehr brauchen, aber zu schade zum Wegwerfen finden.

Entrümpeln als Hauruck-Aktion
 
Und dann passiert immer wieder das gleiche: Zuerst steht das Zeug eine Weile herum, bis der Keller schließlich kaum noch passierbar ist. Dann misten wir in einer Hauruck-Aktion aus: sortieren Dinge aus, die wir noch verkaufen oder verschenken können. Überlassen noch brauchbare Möbel der Caritas für deren „Möbelfundgrube“. Fahren den Rest zum Wertstoffhof oder entsorgen ihn gleich in unsere Mülltonne. Und – Bravo! – sind im Wortsinn erleichtert, dass wir es geschafft haben, uns von all dem Ballast zu trennen.
 
Bravo? Echt jetzt? Wie kommt das eigentlich, dass wir fast unbemerkt nach und nach und dann irgendwie doch überraschend immer mehr besitzen, als wir brauchen und quasi an unserem eigenen Überfluss ersticken? Ist das nicht ein deutliches Indiz, dass unser Lebensstil, unsere Art zu konsumieren aus dem Ruder läuft? Aber wo und ab wann genau? Alles, was wir bei diesen Aktionen als überflüssig erkennen: Das kam ja nicht angeflogen, vielmehr haben wir Geld und Zeit darauf verwendet, es anzuschaffen, und uns darüber gefreut!? Am Ende läuft diese Grübelei zwangsläufig auf die eine Frage hinaus: Was brauche ich, was brauchen wir wirklich, um „gut“ leben zu können?
 
Neulich habe ich gelesen, dass ein durchschnittlicher Haushalt in Deutschland vor 100 Jahren etwa 400 Dinge besaß, heute dagegen ungefähr 10.000. Wenn diese Zahl auch nur annähernd stimmt, dann erscheint sie mir wie ein Gradmesser dafür, dass wir unser Maß verloren haben. Und es gefällt mir nicht, dass meine Familie Teil dieser Maßlosigkeit ist.

Verantwortlich leben
 
„Du übertreibst!“, findet meine Frau Lisa oft. Sie urteilt da meist milder, weist mich zum Beispiel auf die Geschichte oder den Nutzen von Dingen hin, die ich am liebsten sofort verbannen möchte: „Das Foto ist doch das Geschenk von Peter! Wenn er uns besuchen kommt und das Foto dann nicht mehr auf der Kommode steht – was dann?“ Lisa weiß auch meist besser, warum es sich manchmal lohnt, auch mal etwas aufzuheben: „Die alten Kinderbücher könnten wir später noch brauchen, wenn wir mal Enkel haben.“
 
Mir ist inzwischen auch klar, dass vieles, was ich als überflüssig ansehe, einfach der Geschichte unserer Familie geschuldet ist. Wie die große Kiste voller Legos im Keller, mit denen niemand mehr spielt. Vielleicht geht es damit ja irgendwann wie mit unserem Kleinkind-Equipment, das wir in der Nachbarschaft verschenkt haben. Und es macht mich durchaus zufrieden, wenn ich unser altes Bobbycar wieder mal über die Straße rattern höre und sehe.
 
Und ich gebe zu: Möglicherweise ist es weniger die Überfüllung der Wohnung als unser Lebensstil insgesamt, der mein Unbehagen auslöst. Eigentlich möchte ich als Christ so leben, dass ich ein gutes Gewissen haben kann. Ich will mir nicht vorwerfen müssen, mit meinem Konsumverhalten die Schöpfung mit Füßen zu treten, unnötig Ressourcen zu verbrauchen oder die Flut an Müll noch zu vergrößern. Denn bei allem Bemühen um einen verantwortlichen Lebensstil passiert es mir und der ganzen Familie immer mal wieder, dass wir Dinge „im Vorbeigehen“, aus einer Laune heraus kaufen. Zum Beispiel bildete ich, Technik-Freak, mir neulich ein, unbedingt ein tolles neues GPS direkt in China bestellen zu müssen, das mich auf dem See- oder Flugweg über tausende Kilometer erreichte – und stellte dann fest, dass das Gerät vielleicht in Asien, aber nicht hier in Deutschland funktioniert.

Kleine Schritten zu einer besseren Welt

Unsere Kinder, inzwischen 19 und 16 Jahre alt, stellen sich die meisten Fragen in Sachen Lebensstil so gar nicht. Trotzdem leben sie nicht unkritisch. In den letzten Fastenzeiten etwa wollten sie selbst auf Fleisch oder auf stundenlanges Serienschauen verzichten. Das finde ich schön, auch wenn eine temporäre Selbstbeschränkung sicher nicht ausreicht, unseren Planeten zu retten. Dazu müsste sich schon grundlegend der Lebensstil ändern. Ich bekenne: Mein eigener Lebensstil taugt leider auch nicht unbedingt als Vorbild. Und selbst gute Vorbilder versagen ja oft: Im Bekanntenkreis gibt es eine Familie, deren Kinder von den Eltern jahrelang Bio-Müsli und viel Gemüse vorgesetzt bekamen – und jetzt ihren Generationenprotest bei Burger King ausleben.
 
Was bleibt? Der Versuch, meinem Unbehagen über die Zustände in unserem Keller auf den Grund zu gehen, führt mich mitten hinein in die Hintergründe des hyperkonsumistischen Lebensstils unserer Zeit und die globalen, oft sündhaften Verkettungen von Ausbeutung und Ausnutzung fremder Ressourcen und Arbeitskraft. Für mich ist das der Gordische Knoten der Jetztzeit schlechthin. Ich kann ihn weder aufdröseln noch zerschlagen, sondern muss zähneknirschend erkennen, dass ich mit meiner Familie Teil davon bin, dass ich verstrickt bin in ökonomische Zusammenhänge, die ich weder voll überblicken noch privat ganz überwinden kann. Mit Bewunderung verfolge ich Bemühungen wie das „Zero Waste“-Experiment einer befreundeten Familie, die eine Woche lang versuchte, keinen Müll zu verursachen. Auch wenn sie danach wieder zu etlichen „alten“ Gewohnheiten zurückkehrte – geblieben ist auf jeden Fall ein wacheres Bewusstsein für das eigene Konsumverhalten. Es gab gute Gespräche mit den eigenen Kindern und auch mit Freunden, in denen über Alternativen für bisher Selbstverständliches nachgedacht wurde. Vielleicht ist das ja ein Weg: in kleinen Schritten nach Alternativen suchen, Zeichen setzen, drüber reden, bewusst einkaufen – und auch einfach mal einen Einkauf sein zu lassen.
 
Und noch etwas anderes scheint mir eine Spur zu sein: Mich von überflüssigen Dingen zu trennen, hat für mich quasi eine reinigende Wirkung. Ich lasse Vergangenes los und stoße mich selbst auf die oft verdrängte Frage: Was brauche ich wirklich zum Leben? Die Antwort mag nie endgültig sein. Aber es tut gut, sich ihr immer wieder neu zu stellen.
 
 
Ulrich Berens ist Referent für Ehe- und Familienseelsorge im Bistum Augsburg, Außenstelle Donauwörth


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