Wenn Noten daheim für Stress und Konflikte sorgen So können Eltern eigene Maßstäbe setzen und ihre Kinder wirksam unterstützen

Unter dem Druck der Noten und Zeugnisse kreist das Leben in vielen Familien ständig um die Schule. Aber ohne die Vorarbeit und das Gegengewicht der Familien bleibt die öffentliche Bildung Stückwerk, weiß unser Autor, der Psychologe und Erziehungsberater Walter Dreser.
Vater fröhlich mit Tochter bei den Hausaufgaben
Mut machen, Lust am Entdecken fördern, Niederlagen begleiten: Bei der Bildung daheim steht die Beziehung im Vordergrund.
Im landläufigen Verständnis bedeutet „Bildung“ immer noch eine (möglichst große) Ansammlung von Wissen – Günter Jauch & Co. lassen herzlich grüßen. Sie zu vermitteln gilt vor allem als Aufgabe der Schulen, Universitäten und neuerdings vermehrt auch der Kindertageseinrichtungen. Diese „Bildung“, so hoffen „bildungsbewusste“ Eltern, werde ihren Kindern später eine erfolgreiche berufliche Biografie sichern. Kein Wunder, dass Schule sich für viele Familien zu einem enormen Stress- und Konfliktfaktor entwickelt hat!
 
Allerdings haben Bildungsforscher inzwischen nachgewiesen: Schulnoten allein taugen zur Voraussage von Berufserfolg nur sehr eingeschränkt. Vielleicht noch wichtiger: Der Schulerfolg von Kindern hängt – gerade in Deutschland! – entscheidend von ihrer familiären Herkunft ab. Besonders sogenannte Soft Skills wie Selbstvertrauen, Einfühlungsvermögen oder Teamfähigkeit haben großen Einfluss darauf, wie Kinder in der Schule und später im Beruf zurechtkommen. Der landläufige, an abfragbarem Wissen orientierte Bildungsbegriff erweist sich damit als zu eng. Gleichzeitig rückt die Rolle der Familie ganz anders in den Blick, denn hier wird von Anfang an Miteinander eingeübt und die Basis für das Selbstwertgefühl und die Sozialkompetenz von Kindern gelegt. Vor allem die Bindungsforschung hat das Verständnis dafür vertieft, wie frühe Interaktionen die Voraussetzungen für psychische Sicherheit legen und damit eine erfolgreiche Lernbiografie beeinflussen.
 
Selbstvertrauen fördern

Für das Miteinander und die Erziehung in der Familie heißt das konkret: Kinder müssen erleben, dass sie willkommen sind und dass ihre Eltern sie in ihren individuellen Eigenheiten und Fähigkeiten sehen und wertschätzen. Wenn sie die Erfahrung machen, dass Mutter und Vater einfühlend auf sie eingehen und sie ermuntern (und auch fordern!), ihren eigenen Beitrag zum Miteinander zu leisten, fördert das ihr Selbstvertrauen und ihr Bewusstsein für Selbstwirksamkeit, das für eine gesunde psychische Entwicklung von großer Bedeutung ist.
 
Ein paar Beispiele aus dem Erziehungsalltag: In einer Sportgruppe beklagt sich eine Mutter über den fünfjährigen Michael, der ihren Sohn Oliver beim Wettkampf dauernd zur Seite schubse. Michaels Vater ist hin- und hergerissen zwischen der Freude über das kämpferische Talent seines Sohns und der Sorge, Michael werde als aggressiv abgestempelt. Auf dem Heimweg lässt er sich von Michael erzählen, wie der selbst das Schubsen erlebt hat: Oliver habe ihn gestört; ihre Mannschaft hätte verloren, wenn er ihn nicht weggeschubst hätte. „Hm, ich verstehe“, antwortet Michaels Vater, erklärt seinem Sohn dann aber auch, was Olivers Mutter ihm gesagt hatte und wie Oliver selbst sich wohl fühle, wenn die anderen in der Mannschaft ihn ständig herumschubsen. Schließlich überlegen Vater und Sohn gemeinsam, wie Michael Oliver helfen könnte, sich besser in die Mannschaft zu integrieren. Michaels Vater weiß: Das Problem ist damit nicht auf einen Schlag gelöst – aber wenigstens hat er die Idee des Helfens gesät, ohne Michael für sein vielleicht übertriebenes Engagement verurteilt zu haben.
 
Schluchzend erzählt die vierjährige Melanie, ein anderes Mädchen im Kindergarten habe ihre Zeichnung als Krickelkrakel bezeichnet. Die Mutter nimmt sie in den Arm: „Darüber hätte ich mich auch fürchterlich geärgert!“ Ihr geht es vor allem darum, Melanies Selbstbehauptungswillen zu stärken. „Weißt du, ich finde, das Wichtigste beim Malen ist, dass man Lust daran hat, etwas aufs Papier zu bringen und es zu zeigen“, erklärt sie und dass jeder Mensch anders malt; zum Beweis holt sie einen Bildband heraus, der ganz unterschiedliche Werke von Malern bis hin zur schrillen Karikatur vorstellt. „Ist es nicht toll, dass es so unterschiedliche Bilder gibt?“ „Und wenn die Luise wieder so eine blöde Bemerkung macht?“, fragt Melanie. Beide überlegen kurz, dann schlägt die Mutter vor: „Wie wär’s, wenn du sagst: Mir und meiner Mama gefallen meine Bilder.“ Das findet Melanie gut; getröstet geht sie in ihr Zimmer.

Auseinandersetzungen gehören dazu

Zum Großwerden gehört auch die Erfahrung von Konflikten und Enttäuschungen; sie zu verkraften ist eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass Kinder nicht so schnell aufgeben und sozusagen am Ball bleiben. Familie und Erziehung sind keine Schönwetterveranstaltungen; neben der Freude über Gelingendes gehören dazu auch Gefühle von Wut und Ärger, die dabei helfen, ein realistisches Weltbild zu entwickeln und manchmal auch notwendige Auseinandersetzungen zu führen. Die 13-jährige Susanne wirkt in letzter Zeit zunehmend verschlossen. „Pubertär halt“, denkt ihre Mutter zunächst. Aber dann beginnen auch Susannes Leistungen in der Schule deutlich nachzulassen … Nach einem eher entspannten Nachmittag traut sie sich Susanne zu fragen, ob sie sich noch wohlfühle in der Schule. Da plötzlich bricht es aus Susanne heraus: Es sei fürchterlich. Ihre frühere Freundin führe jetzt das große Wort in einer neuen Clique, die sich ellenlang über die Kleidung anderer Mädchen ausließe und besonders Susanne „auf dem Kieker“ hätte. Wenn sie sich im Unterricht melde, werde sie als Streberin verhöhnt; ihr vergehe richtig die Lust am Lernen. „Ja, eine fiese Tour ist das“, bestätigt die Mutter, „und ich find’s prima, dass du mir das so offen erzählst.“ Dann erzählt sie, dass sie selbst in Susannes Alter Ähnliches erlebt hat, und überlegt mit ihr gemeinsam, wie sie damit umgehen könnte. Die Idee, mit dem Klassenlehrer darüber zu sprechen, weist Susanne zurück: „Das macht’s nur noch schlimmer.“ Erst der Gedanke, die Vertrauenslehrerin dafür zu gewinnen, das Thema Mobbing in der Schule generell anzugehen, kann sie überzeugen – das Problem öffentlich zu machen, um auch andere mögliche Opfer zu schützen.
 
In solchen Fällen zeigt sich oft ein grundlegender Unterschied zwischen „Bildung“ in der Schule und in der Familie. Hier wie da gehören Fördern und Fordern zusammen, aber: So wie Schule heute konzipiert ist, kommt sie nicht umhin, mit ihren Noten Einschätzungen vorzunehmen, die Kinder oft schwer „verdauen“. Allzu oft laufen Familien dann Gefahr, sich durch eine solche Benotung aus Angst vor gesellschaftlichem Misserfolg unter Druck setzen zu lassen. Die damit verbundene Belastung des Familienlebens kann das Miteinander und die Lernfreude enorm beeinträchtigen. Stattdessen kommt es darauf an, in der Familie die Maßstäbe anders zu setzen, orientiert an den individuellen Möglichkeiten des eigenen Kindes, statt es durch Druck (noch mehr) zu entmutigen. Bildung in der Familie sollte immer die Qualität der Beziehung im Blick haben. Die kleinen Schritte der Freude am Entdecken der Welt, die Spannung beim Vorlesen, die Lust am Spielen, das „Überleben“ einer Niederlage beim Gesellschaftsspiel, das schwierige Wechselspiel von selber Reden und Zuhören, das Ringen der Geschwister oder Freunde untereinander, die Geduld beim Warten auf die Einlösung eines Versprechens, das alles sind wertvolle Übungsfelder, die unersetzlich für eine gelingende Bildung sind – und das eigene Lebensglück.
 
Natürlich unterscheiden sich Kinder auch von ihrer genetischen Ausstattung her und damit auch in ihrer Lernkapazität und in ihren Charaktereigenschaften. Entscheidende Basis dafür, wie sie damit umgehen werden und ihr Potenzial ausschöpfen können, ist jedoch die Interaktion in der Familie.

Wie stehen die Eltern zur Schule?

Eine ganz entscheidende Rolle für das Gelingen von „institutioneller“ Bildung kommt auch dem Verhalten der Eltern selbst zu. Leben sie ihren Kindern Kooperation und konstruktive Auseinandersetzung mit Erzieherinnen, Lehrern und anderen „Offiziellen“ vor? Oder schicken sie sie an einen „fremden“ Ort, über den sie womöglich sogar noch abfällig reden? Vertrauen und Lernbereitschaft können Kinder nur entwickeln, wenn die Beziehung der Eltern zur den Bildungseinrichtungen, sprich vor allem: zu ihren Repräsentantinnen und Repräsentanten in Ordnung ist. Zugegeben: Manche Unzufriedenheiten von Eltern sind mehr als verständlich, und die Aufgabe wird dadurch nicht einfacher. Aber für die Kinder ist es hilfreich, wenn sie auch in solchen Situationen die Eltern als Vorbilder erleben, die Respekt bewahren, ohne dass sie deswegen die Auseinandersetzung bei Meinungsunterschieden vermeiden.
 
 
Walter Dreser ist Diplom-Psychologe und Psychologischer Therapeut. Er leitete viele Jahre lang eine Erziehungsberatungsstelle des Caritasverbandes im Rhein-Erft-Kreis.


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