Madeleine Delbrêl: Die Liebe

Wir andern, wir Leute von der Straße,
sind ganz davon überzeugt, dass wir Gott so sehr lieben können,
als er Lust hat, von uns geliebt zu werden.
Wir halten die Liebe für eine nicht glanzvolle,
aber aufzehrende Angelegenheit,
wir denken, dass, wenn wir für Gott ganz kleine Dinge tun,
wir ihn ebenso lieben wie mit großen Taten. (…)
Weil wir in der Liebe hinreichend Beschäftigung finden,
haben wir uns die Mühe erspart,
unsere Taten nach Gebet und Aktion zu klassifizieren.
Wir finden, dass Gebet eine Aktion ist und Aktion ein Gebet;
uns scheint, ein wahrhaft liebendes Tun ist ganz von Licht erfüllt.
Wir denken, dass, bevor es zur Tat kommt, die Seele wie eine Nacht ist,
die ganz und gar aufmerksam dem kommenden Licht entgegen harrt.
Und wenn das Licht da ist, der Wille klar verstanden ist,
so lebt sie ihn ganz sanft,
gemächlich zusehend, wie ihr Gott sich in ihr regt und zu wirken anfängt.
Uns scheint, dass das Handeln auch ein Bittgebet ist. (…)
Unsere Füße schreiten auf einer Straße,
aber unser Herz schlägt in der ganzen Welt. (…)
Dann wird das Leben ein Fest.
Jede kleine Unternehmung ist ein gewaltiges Ereignis,
in dem uns das Paradies geschenkt wird,
in dem wir selbst das Paradies verschenken können.
Egal, was wir zu tun haben:
ob wir einen Besen oder eine Füllfeder halten.
Reden oder schweigen, Strümpfe stopfen oder einen Vortrag halten,
einen Kranken pflegen oder auf einer Schreibmaschine hämmern.
All das ist nur die Rinde einer alltäglichen Realität,
der Begegnung der Seele mit Gott in jeder erneuerten Minute,
die an Gnade zunimmt, die immer schöner wird für Gott.
Es läutet? Schnell, aufgetan! Gott ist es, der uns lieben kommt.
Eine Auskunft? … Bitte … Es ist Gott, der uns lieben kommt.
Zeit, sich an den Tisch zu setzen?
Gehen wir: es ist Gott, der uns lieben kommt.
Lassen wir ihn gewähren.