Trösten ohne Vertrösten Die TelefonSeelsorge ist auch an Weihnachten rund um die Uhr im Einsatz

Rund um Weihnachten ist die TelefonSeelsorge in der Erzdiözese München und Freising wieder besonders gefordert: An den Feiertagen melden sich viele Menschen, die unter Einsamkeit und Trauer leiden. Aber auch familiäre Spannungen bis hin zu häuslicher Gewalt kommen zu Sprache. 
 
Mitarbeiterin der Telefonseelsorge
Mitarbeiterin in der TelefonSeelsorge
Eine Ehrenamtliche, die an Heiligabend 2022 Dienst tun wird, ist die 72-jährige Anneliese. Das ist nicht ihr richtiger Name; genauso wie die Anrufenden bleiben auch die Mitarbeitenden der TelefonSeelsorge anonym. Im Interview spricht Anneliese über ihre Motivation.
 
Ulrike Dahme, stellvertretende Leiterin der TelefonSeelsorge in München, gibt neben „Weihnachtserlebnissen“ am Telefon auch darüber Auskunft, wie sich die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen rund um Krieg und Energiekrise auf die Seelsorgearbeit auswirken.

Anneliese, Sie haben in der Heiligen Nacht zwischen 23 Uhr und 7 Uhr Telefondienst. Was motiviert Sie dazu, haben Sie auch Befürchtungen oder Ängste?

TelefonSeelsorgerin Anneliese: Ich lebe selbst allein, mein Mann ist vor ein paar Jahren gestorben. Ich fühle mich aber selten einsam. Viele Menschen kommen gerade an Heiligabend mit dem Alleinsein schwer zurecht. Sie brauchen eine Stimme und ein offenes Ohr. Es reicht oft schon, einfach da zu sein. Wenn ich etwas von meiner zuversichtlichen Haltung an die Anrufenden weitergeben kann, dann sind meine Erwartungen an Weihnachten schon erfüllt. Sorge mache ich mir, dass ich jemanden nicht da erreichen kann, wo die Person abgeholt werden möchte. Etwas Angst macht mir die Aggressivität, mit der sich manche Menschen melden und der ich nichts entgegensetzen kann oder wo ich auch ungeduldig werde.
 
Frau Dahme, Sie koordinieren die Regionalkonferenz der TelefonSeelsorge-Stellen in Bayern, eine Art gemeinsame Interessensvertretung. Wie viele Menschen werden an Heiligabend und an den Feiertagen bei der TelefonSeelsorge im Freistaat arbeiten?

Ulrike Dahme: Bei uns in Bayern gibt es 17 Standorte der TelefonSeelsorge. Die meisten sind ökumenischer Trägerschaft, manche werden jeweils von der katholischen oder evangelischen Kirche finanziert. Bei der TelefonSeelsorge in der Erzdiözese arbeiten wir an drei Standorten: München, Bad Reichenhall und Mühldorf am Inn. Wir sind rum um die Uhr erreichbar. Zu Spitzenzeiten halten wir bis zu drei Leitungen offen, übrigens nicht nur an Weihnachten. Jede Telefonschicht dauert etwa vier Stunden. Schätzungsweise sind an Heiligabend und den Feiertagen in Bayern rund 400 Seelsorgerinnen und Seelsorgern im Einsatz. Die meisten arbeiten ehrenamtlich. Sie gehen also von der Familienfeier weg und sind für Menschen in Not da.

Eine Frage an Sie beide: Hatten Sie schon mal rund um Weihnachten ein Seelsorgegespräch, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
 

TelefonSeelsorgerin Anneliese: Kurz vor Weihnachten rief eine Frau in meinem Alter an. Sie hoffte sehr, dass ihre Tochter zumindest an den Feiertagen zu ihr kommt. Aber sie hatte keine Zeit, um die Mutter zu besuchen. Die Anruferin war sehr traurig und deprimiert. Ich hatte das Gefühl, ihr etwas Halt geben zu können. Die Anruferin bedankte sich am Ende sehr: Das Gespräch habe ihr geholfen, besser durch diese Zeit zu kommen. Sie sei sehr froh, dass es die TelefonSeesorge gibt.
 
Ulrike Dahme: Ich muss immer wieder an eine Anruferin denken, die allein lebte und aus verschiedenen Gründen kein Haustier haben konnte. Stattdessen hatte sie ein Stofftier, mit dem sie Weihnachten feierte. Die Einsamkeit dieser Frau hat mich erschüttert.
Frau Dahme, 2022 war ein Jahr mit großen Unsicherheiten. War das auch in der Arbeit der TelefonSeelsorge spürbar?
 
Ulrike Dahme: Natürlich kommen die aktuellen Sorgen, der Krieg in der Ukraine, die Angst vor dem Winter und die ökologische Situation auch am Telefon, in Mail und Chat zur Sprache. Trotz allem versuchen wir in unserer Grundhaltung der „stellvertretenden Hoffnung“ zu bleiben. Auch unsere Dienstgemeinschaft bei der TelefonSeelsorge hat sich durch die Jahre der Pandemie verändert. Wir versuchen dem durch neue Ideen zu begegnen, zum Beispiel für Fortbildungen oder Begegnungen, die sowohl online als auch in Präsenz stattfinden können.
 
Letzte Frage an Sie beide: Was ist Ihre Botschaft als TelefonSeelsorgerinnen an Menschen, die voller Angst auf Weihnachten blicken?
 
TelefonSeelsorgerin Anneliese: Vielleicht hilft es, die Feiertage als solche nicht überzubewerten. Auch mal zulassen, in Erinnerungen zu schwelgen und sich rückblickend die guten und weniger guten Zeiten anzuschauen: Was habe ich schon alles erlebt und geschafft? Es kann manchmal auch helfen, die Weihnachtsgeschichte zu lesen oder einen Gottesdienst zu besuchen an den Feiertagen, auch per Radio oder Fernsehen. Gerade in diesen schwierigen Zeiten ist vielleicht Gottvertrauen gar nicht so verkehrt.
 
Ulrike Dahme: Ich bin mit großen Botschaften sehr zurückhaltend, sie könnten leicht wie ein Trostpflästerchen wirken. Trösten hat viel mit Sich-Hintrauen zu tun: Traurigkeit und Einsamkeit mitaushalten, die Situation nicht einfach auflösen können und dennoch da sein. Trost hängt sprachlich zusammen mit dem englischen Wort „trust“, also Vertrauen. Bei den Gesprächen am Telefon, per Mail und Chat entsteht Vertrauen. Die Gespräche sind oft alles andere als deprimierend – im Gegenteil: Oft sind es wunderbare Begegnungen.
 
Text: TelefonSeelsorge München, Dezember 2022
 
Die TelefonSeelsorge in der Erzdiözese München und Freising hat drei Dienststellen: München, Bad Reichenhall und Mühldorf am Inn. Insgesamt sind 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Menschen in Not da, die meisten von ihnen ehrenamtlich. Pro Jahr finden über 33.000 Seelsorgespräche per Telefon und über 3.000 Beratungen per E-Mail und Chat statt.
 
Die TelefonSeelsorge ist rund um die Uhr erreichbar unter der Telefonnummer
0800-111 0 222. Die Beratung erfolgt anonym und gebührenfrei. Wer lieber per E-Mail oder Chat Kontakt aufnehmen möchte, kann sich unter https://online.telefonseelsorge.de registrieren. Weitere Informationen, auch zur ehrenamtlichen Mitarbeit: www.erzbistum-muenchen.de/telefonseelsorge
 
 
Telefonseelsorge München
Telefon: 0800-111 0 222
https://www.erzbistum-muenchen.de/telefonseelsorge
Leiter: Alexander Fischhold
Telefonseelsorge Bad Reichenhall
Telefon: 0800-111 0 222
Leiter: Raphael Koller
Telefonseelsorge Mühldorf am Inn
Telefon: 0800-111 0 222
Leiterin: Andrea Fürnrohr